Ulrich Herbert, Freiburg 2014

Ulrich Herbert (* 24. September 1951 in Düsseldorf) ist ein deutscher Historiker. Er war bis Herbst 2019 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau.[1]

Leben

Herbert wurde in Düsseldorf geboren, wuchs jedoch im Ruhrgebiet auf, wo sein Vater als Ingenieur bei der Ruhrkohle AG tätig war.[2] Nach dem Abitur am Staatlichen Gymnasium in Mülheim an der Ruhr studierte er seit 1971 Geschichte, Volkskunde und Germanistik an der Universität Freiburg. 1975 legte er dort bei Heinrich August Winkler das Erste Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien ab.[3][4] Nach seiner Referendarausbildung in Düsseldorf lehrte Herbert von 1977 bis 1980 als Studienrat für Deutsch und Geschichte an der Mülheimer Gesamtschule Nord.[3] Im Sommer 1980 wechselte er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Geschichte an die Universität Essen und war dort bis 1985 Mitarbeiter an dem von Lutz Niethammer geleiteten Forschungsprojekt „Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930–1960“ (LUSIR), das als Pilotprojekt die in den USA entwickelte Methode der oral history erprobte. 1985 wurde Herbert mit einer von Niethammer betreuten Arbeit über die Politik und Praxis des "Fremdarbeiter-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reichs promoviert. Diese Studie, die 1996 auch in englischer Sprache erschien, wurde schnell zur Grundlage der öffentlichen Diskussion über die Geschichte der Zwangsarbeiter in der NS-Zeit und deren ausgebliebene Entschädigung.

1984 war Herbert seinem Lehrer Lutz Niethammer von Essen an die Fernuniversität Hagen gefolgt und ging von 1987 bis 1988 als Research Fellow an das Institut für Deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv.[4] Am dortigen Institut für Deutsche Geschichte begann er mit den Arbeiten zu seiner Habilitationsschrift, die im Februar 1992 an der Fernuniversität Hagen unter dem Titel Werner Best. Eine biographische Studie über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft angenommen wurde.[4] Die Arbeit behandelt die Biographie des Nationalsozialisten Werner Best, dessen Werdegang Herbert von den Anfängen als völkisch-radikaler Student über die Position des Stellvertreters von Reinhard Heydrich im Reichssicherheitshauptamt bis zu seinem Wiederaufstieg in der Nachkriegszeit als Justitiar bei Stinnes verfolgt.

Im Mai 1992 wechselte Herbert als Direktor an die "Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg" und baute diese zu einem Institut für allgeimene und regionale Zeitgeschichte aus, das sich unter Herberts Leitung vor allem mit der Politik- und Mentalitätsgeschichte der NS-Diktatur, der vergleichenden Untersuchung von NS-Regime und Stalin-Diktatur und der Geschichte der Bundesrepublik befasste. Aus dem von Herbert geleiteten Forschungsprojekt "Weltanschauung und Diktatur" gingen neue, grundlegende Arbeiten zur NS-Täterforschung hervor (etwa die Studien von Karin Orth zu Personal und System der nationalsozialistischen Konzentrationslager und Michael Wildts Untersuchung des Führungspersonals des Reichssicherheitshauptamtes).

Zum Wintersemester 1995/96 wechselte Herbert in der Nachfolge Heinrich August Winklers auf den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Freiburg, dem er bis 2019 treu blieb.[4] Herbert hat zahlreiche Publikationen vorgelegt, vor allem zur Geschichte des Nationalsozialismus, der Migrationsgeschichte im 20. Jahrhundert und der Geschichte der Bundesrepublik. Im Jahre 1998 veröffentlichte er den Band Nationalsozialistische Vernichtungspolitik, 1939 bis 1945, der Forschungsarbeiten der jüngeren deutschen Holocaustforscher vorstellte und in viele Sprachen übersetzt worden ist. 2003 erschien der Band Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland (in einer ersten Fassung bereits 1986), in dem die Entwicklung von der Heranziehung der Saisonarbeiter in den Jahren um 1900 über die Zwangsarbeiter der NS-Zeit, die „Gastarbeiter“ der 1960er Jahre und die Asylbewerber der 1980er und 1990er Jahre nachverfolgt wird.

2019 wurde Herbert emeritiert und leitet seither die Forschungsgruppe Zeitgeschichte an der Universität Freiburg. Von 2019 bis 2020 lehrte er zudem als Gerda-Henkel-Professor an der London School of Economics and Political Science und am Deutschen Historischen Institut London. Zu seinen Schülerinnen und Schülern gehören Jan Eckel, Jan Friedmann, Tim Geiger, Isabel Heinemann, Karin Hunn, Stefanie Middendorf, Kim Priemel, Karin Orth, Jörg Später und Michael Wildt.

Forschung, Herausgeberschaften und Mitgliedschaften

Ulrich Herbert (zweiter von rechts) auf dem Historikertag 2014

Von 2000 bis 2008 leitete Herbert zusammen mit Rüdiger vom Bruch eine Forschergruppe, die im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft deren Geschichte von 1920 bis 1970 untersuchte. Das Vorhaben umfasste 19 Einzelprojekte; bis 2010 sind elf Bände über die Geschichte der DFG erschienen. Außerdem leitete Herbert das Forschungsprojekt „Liberalisierungs- und Integrationsprozesse in Westdeutschland, 1950–1980“. Herbert prägte den Begriff der Hochmoderne.

Seit 2005 gibt er zusammen mit Horst Möller, Susanne Heim und anderen die Edition „Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa“ heraus, die in 16 Bänden einen umfassenden Überblick über die Quellen und Dokumente des Holocaust bieten soll.

Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift Journal for Modern European History und mehrerer Buchreihen, darunter der Reihe Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert, in der die Geschichte von zunächst zehn europäischen Staaten und ihren wechselseitigen Verknüpfungen behandelt wird. Den 2014 erschienenen Band über die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert verfasste er selbst.

Von 2001 bis 2007 war Herbert Mitglied des Wissenschaftsrats und leitete dort von 2005 bis 2007 die Arbeitsgruppe „Geisteswissenschaften“, deren „Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland“ die Diskussion über die Lage dieser Fächergruppe nachhaltig bestimmt hat. Herbert engagierte sich dabei auch gegen die so genannte 12-Jahres-Befristung, die wissenschaftlichen Mitarbeitern an Hochschulen, die nur befristet beschäftigt waren, nach 12 Jahren eine Weiterbeschäftigung untersagte. Das Gesetz wurde inzwischen geändert. Von 2007 bis 2013 leitete er an der Universität Freiburg zusammen mit Jörn Leonhard die School of History des „Freiburg Institute for Advanced Studies“ (FRIAS), das im Rahmen der Exzellenzinitiative gegründet wurde.[5]

Auszeichnungen

Schriften (Auswahl)

Monographien

Herausgeberschaft

Aufsätze

Literatur

Interviews

Einzelnachweise

  1. Forschungsgruppe Zeitgeschichte.
  2. Ulrich Herbert: Schön war es nie: Kindheitserinnerungen ans Ruhrgebiet. In: FAZ.NET. 21. Dezember 2018, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 23. August 2023]).
  3. a b Ruhrpreis wird an Prof. Dr. Ulrich Herbert verliehen. 16. Oktober 2018, abgerufen am 23. August 2023.
  4. a b c d Art. "Prof. Dr. Ulrich Herbert", in: Freiburger Universitätsblätter (1995), S. 124.
  5. School of History am FRIAS.
  6. Eine sehr positive Rezension dazu stammt von Gregor Schöllgen: Vom Ende vieler Klischees – Das „Dritte Reich“ kompakt In: FAZ, 11. Oktober 2016, S. 6.
  7. Thomas Schmid in der WELT, Patrick Bahners in der FAZ, Carsten Kretschmann (ebenfalls FAZ), Edgar Wolfrum in der NZZ, Michael Wildt auf H-Soz-Kult, vierfach rezensiert in sehepunkte