Die Bergpredigt. Fresko von Cosimo Rosselli in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan, ca. 1481/82

Die Bergpredigt (lateinisch oratio montana; auch Bergrede) ist ein Textabschnitt des Matthäusevangeliums (Mt 5,1–7,29 EU) im Neuen Testament (NT), in dem bestimmte Lehrsätze von Jesus von Nazaret zusammengestellt sind. Den ihm auf den Berg gefolgten Jüngern legt Jesus den in der Tora offenbarten Willen Gottes neu aus. Die Bergpredigt hat als jüdische Tora-Auslegung das Christentum sowie auch nichtchristliche Denker und andere Religionen beeinflusst.

Name und Hintergrund

Der traditionelle Name „Bergpredigt“ folgt der Ortsangabe zu Beginn:

1 Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. 2 Dann begann er zu reden und lehrte sie.“ (Mt 5,1–2 EU)

Damit unterstrich der Matthäus genannte Verfasser die grundsätzliche Bedeutung seiner Lehre durch einen typologischen Vergleich mit dem Berg Sinai: Dort empfing Moses nach Ex 19 bzw. Dtn 26 von Gott die Tora, die er den Israeliten als Gottes Willen mündlich weitergab. So wird Jesus hier als der Vertreter dieses Gotteswillens Mose gleichgestellt und seine berufenen 12 Jünger als Vertreter der Zwölf Stämme Israels, also des ganzen erwählten Gottesvolks dargestellt.

Die Bergpredigt ist laut Mt 5,17 EU, Mt 7,12 EU aber keine neue Tora, sondern deren Auslegung. Sie wurde von einigen jüdischen Autoren des 20. Jahrhunderts als genuin jüdische, mit wesentlichen damaligen und heutigen Lehren der Rabbiner übereinstimmende Toraauslegung anerkannt.[1]

Entstehung

Fresko Die Bergpredigt
(Fra Angelico, 1437–1445)

Die Bergpredigt hat eine deutliche Parallele im Lukasevangelium, in der „Feldrede“ (Lk 6,17–49 EU). Daneben haben beide Evangelien weitere, zum Teil wörtlich übereinstimmende Gemeinsamkeiten, die aber wiederum in den anderen Evangelien nicht auftauchen. Diese Übereinstimmungen haben in der neutestamentlichen Wissenschaft zu der Annahme (Zweiquellentheorie) geführt, dass den beiden Evangelisten eine im Prinzip identische schriftliche Quelle vorlag, die sogenannte Logienquelle (Spruchquelle), abgekürzt Q. Die Quelle erhielt in der Forschung diesen Namen, weil ein Vergleich der Gemeinsamkeiten zwischen Lukas und Matthäus zeigt, dass Q neben wenigen knappen erzählerischen Abschnitten vor allem einzeln überlieferte Sprüche Jesu enthalten haben muss. Die vorherrschende Annahme ist, dass die unbekannten Verfasser von Q mündlich tradierte Jesussprüche sammelten und aufschrieben. Diese Spruchsammlung wurde dann von den Verfassern des Lukas- und des Matthäusevangeliums überarbeitet und in ihr Evangelium integriert. Das führte dazu, dass die ursprünglich einzeln überlieferten Sprüche der Logienquelle, die oft nur einen lockeren inhaltlichen Zusammenhang haben, im Matthäusevangelium zu einer zusammenhängenden Rede Jesu auf einem Berg zusammengestellt wurden, eben der Bergpredigt. Die Zweiquellentheorie nimmt an, dass die Sprüche aus Q, die in der Bergpredigt überliefert sind, eine historisch wertvolle Quelle sind, die nahe an den historischen Jesus heranführt. Wie redaktioneller Anteil und Überlieferung im Einzelnen zu trennen sind, ist allerdings umstritten. In der Feldrede ist – im Gegensatz zur Bergpredigt – von drei Geboten in verschärfter Form die Rede: vom Armutsgebot, dem im Judentum bekannten Gebot der Feindesliebe und dem Verbot des Richtens.

Inhalt

Einleitung: Seligpreisungen, Worte über Salz und Licht sowie Präambel

Die Bergpredigt beginnt mit einer Reihe von neun Seligpreisungen (Makarismen) in Mt 5,3–12 EU. Der Form nach stehen sie in der Tradition der Weisheitsliteratur („Wohl dem, der …“). Jesus verknüpft sie mit Armut, Trauer, Demut, Sanftmut, Gerechtigkeitssuche, Barmherzigkeit, reinem Herzen, Friedensstiftung und Leidensbereitschaft wegen Verfolgung. Die Seligpreisungen zu Beginn der Bergpredigt unterscheiden sich von denen des Alten Testaments in mehrfacher Hinsicht:

  1. Ihre Häufung ist hervorstechend. Während im Alten Testament selten mehr als zwei von ihnen aufeinander folgen, sind es hier neun an der Zahl.
  2. Während das Alte Testament fast ausnahmslos sachlich in der dritten Person („Selig ist, wer …“) formuliert, stehen Jesu Seligpreisungen in der direkten Anrede der zweiten Person.
  3. Im Gegensatz zum Alten Testament, welches in Nebensätzen Bedingungen für den Status der Seligkeit definiert, sind Jesu Worte kurz und eindeutig.
  4. Jesus weitet im Gegensatz zum Alten Testament das Heil schon für die Jetztzeit und unbeschränkt für alle aus.[2]

Es folgen die Gleichnisworte vom „Salz der Erde“ und vom „Licht der Welt“ 5,13–16 EU, die den Anhängern auferlegen, auf sichtbare Wirkungen zu achten („Licht nicht unter den Scheffel stellen“).

Daran schließen sich Ausführungen über Jesu Verhältnis zu „Gesetz und Propheten“ an (5,17–20 EU), die als eine Art Präambel aufgefasst werden können: nicht Aufhebung, sondern Erfüllung, die den Wortlaut achtet.

Die sogenannten Antithesen

Dies wird im folgenden Hauptteil, den Antithesen, an verschiedenen Themen gezeigt: Töten und Versöhnung 5,21–26 EU, Ehebruch und Ehescheidung 5,27–32 EU, Eid und Wahrhaftigkeit 5,33–37 EU, Vergeltung und Feindesliebe 5,38–48 EU. Jedes Mal stellt Jesus einem (frei zitierten) Gebot der Tora ein „Ich aber sage euch“ gegenüber.

Thema Von Jesus zitierte alttestamentliche Regel Ich aber sage euch…
Vom Töten Du sollst nicht töten. (5,21)

(Bezug auf 2. Mose 20,13 und 5. Mose 17,8–9; 12–13)

Drei Drohungen: „Wer mit seinem Bruder zürnt,“ … „wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig, wer aber sagt: Du gottloser Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig“
Vom Ehebruch Du sollst nicht die Ehe brechen. (5,27)

(Bezug auf 2. Mose 20,14)

Drei Drohungen: „Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht,“… „Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt,“ … „wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt,“ …
Von der Ehescheidung Wer seine Frau aus der Ehe entlässt, muss ihr eine Scheidungsurkunde geben. (5,31)

(Bezug auf 5. Mose 24,1)

Zwei Drohungen: „Wer seine Frau entlässt,“ … „und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist,“ …
Vom Schwören Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. (5,33)

(Bezug auf 2. Mose 20,7 u. a.)

Eine neue Forderung: „Schwört überhaupt nicht“
Von der Vergeltung Auge für Auge (5,38)

(Bezug auf 2. Mose 21, 23–25 und 3. Mose 24,19–20)

Vier Forderungen: „wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt,“ … „wenn dich einer vor Gericht bringen will,“ … „wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen,“ … „Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.“
Von der Liebe zu den Feinden Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind. (5,43)

Liebe Deinen Nächsten (Bezug auf 3. Mose 19,18) Hasse Deinen Feind (Theologie der Zeloten)

Zwei Forderungen: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen,“ … „Ihr sollt also vollkommen sein,“ …
weitere Themen kein Hinweis auf herkömmliche Regeln Diverse Forderungen, insbesondere in Abgrenzung zu Heuchlern, die ihren Lohn bereits bekommen haben. Prominentester Abschnitt dürfte das „Vaterunser“ (6,9–13) sein.

Das sechste Kapitel enthält Warnungen vor Veräußerlichung und Heuchelei („dein Vater, der das Verborgene sieht“; 6,1–8 EU;6,14–18 EU), und im Zentrum der gesamten Komposition eingefügt das Vater unser als „kindliches“ Gebet der neuen Gerechtigkeit (6,9–13 EU). Daran schließen sich Mahn- und Gleichnisworte gegen den Reichtum, die „Sorge“ und mangelndes Vertrauen in die Gottesherrschaft an 6,19–34 EU.

Das siebte Kapitel beginnt mit dem Verbot des Richtens, das erläutert wird durch das Logion vom Splitter und vom Balken (7,1–5 EU). Es folgt ein Einzelwort über die Entweihung des Heiligen (7,6 EU), aus dem das geflügelte WortPerlen vor die Säue werfen“ stammt. Der Sinn dieser Aussage gilt als rätselhaft.[3] Ein weiteres Gleichniswort vom Gebetsvertrauen (7,7–11 EU) sowie die „Goldene Regel“: Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten. (7,12 EU)

Den Abschluss der Bergpredigt bilden das Mahnwort vom „engen Tor“ (7,13+14 EU), die Warnung vor heuchlerischen Glaubenslehrern (7,15–23 EU) und das Gleichnis vom Hausbau auf Felsen oder auf Sand für ein Leben mit den Grundsätzen der Bergpredigt oder gegen sie (7,24–27 EU).

Der Einleitung entspricht ein ebensolcher Schluss: Als Jesus diese Rede beendet hatte, war die Menge sehr betroffen von seiner Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten. (7,29+30 EU)

Wirkungsgeschichte

Darstellung der Bergpredigt in der Matthäus-Kirche von Kopenhagen

Bereits der Brief des Jakobus greift auf die Ethik der Bergpredigt zurück. Die früheste Kirchenordnung der Christenheit, die Didache, und ferner der Kirchenlehrer Augustinus begreifen den Text ebenfalls als bedingungslose Anweisungen zum Handeln.

Doch schon Paulus reflektiert auch die Notwendigkeit einer gewaltgestützten Staatlichkeit (Röm 13 EU). Mit der Etablierung der Reichskirche setzen zeitbedingt weitere theologische Milderungsbestrebungen ein, die das Eidverbot, die Feindesliebe und den Gewaltverzicht relativieren.

In den folgenden Jahrhunderten wird die Berglehre immer mehr als Bergpredigt, als Verkündigung des christlichen Glaubens begriffen und als „neue“ Lehre und christlich-ethisches Juwel, zum Teil im Widerspruch mit dem Text der Berglehre, begriffen.

Gegen alle Bestrebungen, die Bergpredigt realitätsverträglich zu entschärfen, wendeten sich radikalchristliche Bewegungen. Unter ihnen gab es solche, die der Kirche trotz Verdächtigungen nahe blieben (Orden, Heilige), andererseits solche, die mit der Bergpredigt gegen die verfasste Kirche opponierten und dafür (entsprechend Mt 5,11 EU) verfolgt wurden (Ketzer: Paulikianer, Waldenser, Katharer, Täufer).

Die Bergpredigt hat zu allen Zeiten gerade unter denen, die sie ernst nahmen, entschiedene Gegner gefunden, die in ihr eine Übersteigerung des Menschenmöglichen, eine Vergiftung wahrer Ethik oder eine Sklavenmoral sahen (Friedrich Nietzsche). Die Vision der Bergpredigt erscheint bei Nietzsche als eine Religion des Ressentiments, als der Neid der Feigen und Untüchtigen, die dem Leben nicht gewachsen sind und sich dann mit der Seligpreisung ihres Versagens und der Beschimpfung der Starken, der Erfolgreichen, der Glücklichen rächen wollen.[4]

Die lutherische Reformation antwortete auf die Bergpredigt mit der Zwei-Reiche-Lehre: Im „geistlichen“ Reich herrscht schon das Evangelium, in dem anderen („weltlichen“) aber noch die Sünde. Bis in die Gegenwart wird mit dieser Konstruktion zwischen Lutheranern und anderen reformatorischen Gruppen wie den Mennoniten und anderen sogenannten Friedenskirchen über die Notwendigkeit des Militärs gestritten.

Klassische Interpretationen der Bergpredigt gliedern sich grundsätzlich in funktionale Deutungen, die auf die Struktur ihrer Radikalität abheben, und relativierende Deutungen, die den Geltungsbereich der Bergpredigt einschränken.

In der deutschen Friedensbewegung der 1980er Jahre hat die Bergpredigt – inspiriert von Leonhard Ragaz – durch Dorothee Sölle, Jürgen Moltmann und Franz Alt[5] die Politische Theologie beeinflussen können.

Siehe auch

Literatur

Einführungen

Lexikonartikel

Kommentare

Struktur

Wirkungsgeschichte

Weiteres

Einzelnachweise

  1. Beispiele: Joseph Klausner: Jesus von Nazareth. 3. Auflage. 1952, S. 534.
    David Flusser: Jesus. Rowohlt, Hamburg 1968, S. 43 f.
    Geza Vermes: Jesus, the Jew. London 1973, S. 223.
    Pinchas Lapide: Die Bergpredigt: Utopie oder Programm? 2. Auflage. Mainz 1982, S. 15 und öfter.
  2. Eduard Schweizer: Die Bergpredigt. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1982, S. 10.
  3. Christian Münch: Perlen vor die Säue (Von der Entweihung des Heiligen) Mt 7,6 (EvThom 93) (Memento vom 9. Januar 2016 im Internet Archive) auf der Website der Forschungsstelle „Gleichnisse Jesu“ der Universität Mainz, 2007, abgerufen am 8. Januar 2016.
  4. Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. 2. Auflage. Herder, Freiburg, Br./Basel/Wien 2007, ISBN 978-3-451-29861-5, S. 128.
  5. a b Gerhard Maier: HistorischTheologische Auslegung. SCM R.Brockhaus Brunnen, Witten 2015, ISBN 978-3-417-29730-0, Die Bergpredigt – Einleitung – 3. Die ethische Dimension, S. 235: „Ist die Bergpredigt Weltethos oder Christenethos? Von Leo Tolstoi über den Pazifismus, über Mahatma Ghandi und Franz Alt gibt es bis in die Gegenwart hinein eine ununterbrochene Reihe von Interpretationen der Bergpredigt, wonach sie auch für den Staat, ja die gesamte Menschheit gelte.“