Die erste Ausgabe des Candide bei Cramer in Genf, 1759

Candide oder der Optimismus (französisch Candide ou l’optimisme) ist eine 1759 unter dem Pseudonym Docteur Ralph erschienene satirische Novelle des französischen Philosophen Voltaire. Im Jahr 1776 erschien eine deutsche Übersetzung unter dem Titel Candide oder die beste aller Welten.

Diese Satire wendet sich unter anderem gegen die optimistische Weltanschauung Gottfried Wilhelm Leibniz’, der die beste aller möglichen Welten postulierte. Voltaire propagiert Skeptizismus und Pessimismus, die Leibniz’ Postulat in den Kontext der Zeit rücken (Eindruck des Erdbebens von Lissabon 1755, Siebenjähriger Krieg) und in Frage stellen.[1] Mit Witz und Ironie prangert Voltaire in seinem „conte philosophique“ den überheblichen Adel, die kirchliche Inquisition, Krieg und Sklaverei an und verspottet die naive Utopie des einfachen Mannes von einem sorglosen Leben.

Paul Klee: Candide 1. Cap. „chasse Candide du château à grands coups de pied dans le derrière“, 1911, Feder auf Papier auf Karton, Zentrum Paul Klee, Bern

Inhalt

Voltaire wählt als Schauplatz für seine Geschichte, die er analog zu vielen Mythologien (inklusive der biblischen) in der ursprünglichen „besten aller möglichen Welten“ des Anfangs beginnen lässt, das „herrlich friedliche Westfalen“. Der einfach gestrickte Held Candide, der illegitime Neffe des westfälischen Barons Thunder-ten-tronckh, wird aus dem westfälischen Heimatschloss verbannt, nachdem er mit der traumhaft schönen Prinzessin Cunégonde in flagranti ertappt worden ist. Die Vertreibung gerät ihm zur Verstoßung aus jenem Paradies, in dem ihm sein Lehrer Pangloss (von altgriechisch pan „alles, umfassend“ und glossa „Zunge, Sprache“, also ungefähr „Allessprecher“) die Leibnizsche Theorie der „besten aller Welten“ versucht näherzubringen. – Von dieser literarischen Figur leitet sich der Begriff Panglossianismus ab.

Auf der anschließenden Reise wird die Theorie des Optimismus zusehends ad absurdum geführt. Denn was ihm auf der Reise quer durch Europa und nach Übersee widerfährt, ist durch eine Kette zufälliger Unglücke, Katastrophen und unwahrscheinlicher Rettungen gekennzeichnet, die ihn an die entlegensten Orte der Welt führen. So gerät er in die Fänge bulgarischer Soldaten, die einen grausamen Krieg führen, kommt nach Lissabon, als dort das allbekannte, verheerende Erdbeben hereinbricht, um dort seine geliebte, inzwischen versklavte, verwundete und nahezu pausenlos vergewaltigte Cunégonde zu entdecken. Schon bald muss er sie jedoch verlassen, um sein Leben zu retten, und flüchtet über Cádiz, wo er den Begleiter Cacambo trifft, nach Paraguay. Dort begegnet er einem jesuitischen deutschen Baron, der sich als Bruder Cunégondes entpuppt. Als dieser erfährt, dass der bürgerliche Candide seine adelige Schwester heiraten will, ist er darüber so empört, dass er Candide töten will, dabei allerdings selbst ums Leben kommt.

Wieder muss Candide fliehen. Auf einem reißenden unterirdischen Fluss gelangt er, zusammen mit seinem treuen Begleiter Cacambo, unvermutet nach El Dorado, einem ringsum von steilen Bergen hermetisch abgeriegelten ehemaligen Inkareich, in dem Gold und Edelsteine die Straßen pflastern und in dem Toleranz, Wohlstand und Frieden perfekt verwirklicht sind. Einen Monat lang werden die beiden Abenteurer gastfreundlich verwöhnt und kommen aus dem Staunen nicht heraus. Doch dann verlässt Candide dieses Paradies wieder, um, mit Reichtümern schwer bepackt, nach Cunégonde als dem einzig wahren Glück zu suchen. Auf der Reise trifft er in Surinam auf den alten Philosophen Martin und macht ihn zu seinem zweiten Gefährten. In den Gesprächen mit diesem lebenserfahrenen holländischen Pessimisten lernt Candide Habgier und Bosheit als die treibenden Kräfte des menschlichen Lebens erkennen. So wird er allmählich kritischer und schenkt der optimistischen Philosophie nach all dem Leid, das er in aller Welt gesehen bzw. selbst erfahren hat, immer weniger Glauben.

Nach enttäuschenden Aufenthalten in Paris (wo Candide seiner Cunégonde für eine Nacht untreu wird), Portsmouth und Venedig erreichen Candide, Martin und Cacambo schließlich Konstantinopel. Dort finden sie nicht nur seinen längst totgeglaubten Lehrer Pangloss, sondern auch Cunégonde wieder, letztere allerdings grauenvoll verstümmelt. Resigniert beschließt Candide, sie dennoch zu heiraten. Er kauft ein Landgut, in dem er sich mit seinen Begleitern niederlässt und der Landwirtschaft widmet. Dort gibt jeder sein Bestes („chacun se mit à exercer ses talents“), die hässliche Cunégonde wird eine gute Köchin, der weise Martin empfiehlt: „Travaillons sans raisonner, […] c’est le seul moyen de rendre la vie supportable“ („Lasst uns arbeiten ohne nachzudenken, das ist das einzige Mittel, das Leben erträglich zu machen“), und Pangloss, der nach wie vor einen ungetrübten Optimismus predigt, wird von Candide im letzten Satz der Novelle mit der Erkenntnis beschieden: „Cela bien dit, […] mais il faut cultiver notre jardin“ („Gut gesagt, aber unser Garten muss kultiviert werden“). So bietet Voltaire in seinem negativen Märchen, das die unausrottbare Unverbesserlichkeit des Menschen zum Thema hat, in der Beschränkung auf die gemeinsame banale häusliche Arbeit letztlich doch noch einen Ausweg.

Ausgaben

Erste Ausgaben

Die Druckgeschichte des Candide ist komplex und auch heute noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Mit seinem Erscheinen war der Text durch die Zensur in Genf und Frankreich gleichermaßen bedroht. Voltaire und seine Verleger entwickelten daher eine ausgeklügelte Strategie, um ein Verbot und die drohende Beschlagnahmung ins Leere laufen zu lassen. Vermutlich wurde bereits 1758 ein nicht erhaltener Probedruck in Genf hergestellt, der zumindest nach London zu Nourse, nach Paris zu Lambert und vermutlich auch nach Amsterdam zu Rey geschmuggelt wurde. Der mehrortige Druck war wegen der fehlenden Kooperation der Zensurbehörden dadurch nicht mehr zu verhindern.

Diese drei Ausgaben unterscheiden sich in einigen Textstellen, weisen aber dadurch auf eine gemeinsame Vorlage – wahrscheinlich auf den von A. Morize und Ira Owen Wade postulierten Probedruck. Die Frères Cramer in Genf sind vermutlich die ersten, nicht aber die rechtmäßigen Drucker im Sinne des heutigen Urheberrechtes.

Insgesamt erschienen 1759 an mehreren Orten in Europa mindestens 17 verschiedene französische Drucke ohne Verfasserangabe, einige von ihnen jedoch sind Raubdrucke. Die erste englische Übersetzung, Candid, or All fo the best, wurde von Nourse herausgegeben. Eine zweite Übersetzung von William Rider erschien noch im April 1759 unter dem Titel Candidus, or the Optimist, und wurde in mindestens drei separaten Ausgaben in London, Edinburg und Dublin gedruckt. Weitere Übersetzungen in das italienische Candido, o l’ottimismo und in das Niederländische folgten noch im selben Jahr. Die erste deutsche Übersetzung von Johann Albrecht Philippi erschien 1761. Die Gesamtauflage der 1759-Ausgaben auf Französisch wird auf 20.000 Exemplare geschätzt. Hinzu kommen die etwa 10.000 Exemplare der Übersetzungen. In der von Theodore Bestermann herausgegebenen Oxforder Werkausgabe werden die Ausgaben nach ihrer Seitenzahl gruppiert und aufgrund ihrer typographischen und textlichen Besonderheiten sowie der Wasserzeichen sortiert und bekannten Druckorten zugeordnet. Dem deutschsprachigen Raum können so eine 167-seitige Ausgabe sowie eine 301-seitige Ausgabe, die auf Papier mit Basler Wasserzeichen gedruckt wurde, zugeordnet werden.[2]

Die Endfassung des Candide erschien 1761 im Rahmen der Cramer’schen Werkausgabe.

Das La-Vallière-Manuskript des Candide

1959 wurde das einzige bekannte Manuskript des Candidetextes aus der Sammlung des Duc de La Vallière entdeckt. Es dürfte im Oktober 1758 nach dem Diktat Voltaires entstanden sein und weicht bis auf Marginalien nur in den Kapiteln 19 und 22 von den frühen Buchfassungen ab. Der Text in der Handschrift von Voltaires Sekretär Jean-Louis Wagnière wurde hier von Voltaire eigenhändig abgeändert. Das Manuskript ermöglichte Ira Owen Wade und André Morize eine zeitliche Zuordnung der frühen Ausgaben. So steht die dritte Ausgabe London dem Manuskript näher als die Ausgaben Genf und Paris und dürfte deshalb wegen der typographischen Übereinstimmungen auf eine gemeinsame gedruckte Vorlage zurückgehen.

Die bislang bekannten 1759er-Ausgaben nach der Oxforder Werkausgabe

Neuere deutsche Ausgaben (Auswahl)

Hörbücher

Illustrationen zu Candide

Daniel Chodowiecki 1777 für die Ausgabe im Verlag Friedrich Christian Himburg 1778

Jean-Michel Moreau 1787 für die Werkausgabe Kehl 1784–1789

Jean-Michel Moreau 1801 für die nicht erschienene Werkausgabe Renouard

Bearbeitungen

Nach Voltaire haben sich auch andere Schriftsteller der Aufklärung des Stoffes angenommen. Die bekanntesten Werke sind Johann Karl Wezels Belphegor oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne (1776) und Johann Pezzls Faustin oder das philosophische Jahrhundert (1783).[3]

Bereits 1784 wurde eine Episode aus dem 26. Kapitel gekürzt auf die beiden historischen Figuren des König Theodor und des Sultan Achmet III. durch Giambattista Casti in ein Libretto umgeschrieben und von Giovanni Paisiello als Il Re Teodoro in Venezia vertont.

1956 schuf Leonard Bernstein das Musical Candide, eine komische Operette in zwei Akten.[4] Bernstein verstand sie musikalisch als „Liebeserklärung an die europäische Musik“. Aufnahme mit dem London Symphony Orchestra: Deutsche Grammophon (1989), Audio-CD Art.-Nr.: 429734-2. Neufassung 1974 als Musical in einem Akt.

1974 erschien der Film Mondo Candido von Gualtiero Jacopetti.

Candide wurde 1977 von Serge Ganzl dramatisiert.[5]

Aufnahme des Candidestoffes durch andere Autoren

Candide-Preis

Der Literarische Verein Minden stiftete 2004 den Candide-Preis, einen Literaturpreis, der bis 2011 verliehen wurde. Die Benennung nach Voltaires Werk Candide beruht darauf, dass dessen angeblicher Verfasser „Doktor Ralph“ 1759 in Minden gestorben sein soll (eine Anspielung auf die Schlacht bei Minden).

Literatur

Einzelnachweise

  1. Richard Schwaderer: Candide, ou l’optimiste, in: Volpi, Franco und Julian Nida-Rümelin, Lexikon der philosophischen Werke, 1988, S. 61f.
  2. Ruth Weiß: Candide und Wilhelmine. In: SBB Blog. 1. Februar 2016, archiviert vom Original am 4. Februar 2016; abgerufen am 20. März 2024.
  3. Materialien zum Studium der Rezeptionsgeschichte von Voltaires „Candide“ (Universität Trier)
  4. Eckhardt van den Hoogen: ABC der Oper. Die großen Musikdramen und ihre Komponisten, Eichborn, 2003, S. 82
  5. Lothar Knapp: Candide oder Der Optimismus, in: Wilpert, Lexikon der Weltliteratur, Bd. 2, 1993, S. 200
  6. Federführend: SWR. Insbesondere für die Sekundarstufe geeignet. Die Sendung (30 Min.) steht auch auf Datenträger zur Verfügung.