Das Sinngedicht ist ein Novellenzyklus des Schweizer Dichters Gottfried Keller. Erste Ideen zu dem Werk notierte Keller sich 1851 in Berlin, wo er 1855 auch die Anfangskapitel zu Papier brachte. Der größte Teil des Textes entstand jedoch erst 1881 in Zürich, während bereits der Vorabdruck in der Deutschen Rundschau stattfand. Eine erweiterte Buchfassung folgte Ende des Jahres.
Der Zyklus ist nach einem Sinngedicht (Epigramm) des Barock-Poeten Friedrich von Logau benannt, welches darin eine Rolle spielt. Es lautet: „Wie willst du weiße Lilien zu roten Rosen machen? / Küß eine weiße Galathee: sie wird errötend lachen!“ Galateia, (Galatea, Galathée), schönste der Töchter des Meergottes Nereus, galt von alters her als Verkörperung der erregenden, zugleich aber auch zügelnden Wirkung weiblicher Schönheit auf das männliche Begehren. Im Geiste der galanten Poesie wendet sich Friedrich von Logau an junge Kavaliere und gibt ihnen „durch die Blume“ den Rat, sich keine allzu strengen Zügel anlegen zu lassen. Dichter und Publikum des 19. Jahrhunderts verbanden mit dem Namen Galathee außerdem das Ovidsche Verwandlungsmärchen vom Künstler Pygmalion, der sich mangels einer liebenswürdigen Gefährtin eine Elfenbeinstatue erschafft, worauf die Götter sich seiner erbarmen und das Bildwerk unter seinem Kuss lebendig werden lassen.
Die sieben Sinngedicht-Novellen,[1] deren jede eine glückliche oder unglückliche Liebeswahl zum Thema hat, sind in eine Rahmenerzählung eingeflochten, die selbst eine Liebesnovelle ist. Diese spielt im Deutschland der 1850er Jahre in der romantischen Umgebung einer Universitätsstadt. Von dort reitet an einem schönen Junimorgen der junge Naturforscher Herr Reinhart aus, um – wie er es nennt – wissenschaftliche Beobachtungen anzustellen. Abends gelangt er hoch überm Tal zum Landsitz der bücherliebenden und sprachenkundigen Lucie. Herr Reinhart ist von der Schönheit und dem Witz seiner Gastgeberin bezaubert; zugleich fühlt er sich von ihrer geistigen Selbständigkeit herausgefordert. In dieser Laune teilt er ihr das Logausche Sinngedicht mit, das ihm als erotischer Reiseführer und Anleitung zu Kuss-Experimenten dient. Als er obendrein seine tagsüber gesammelten Erfahrungen zum Besten gibt – eine hat beim Kuss nur gelacht, eine andere ist nur errötet, bei einer dritten hat er den Versuch abgebrochen – straft ihn die erzürnte Lucie mit der Geschichte von einer törichten Person, die sich mit erschlichenen Küssen unglücklich macht. Damit eröffnet sie ein Streitgespräch anhand von Beispielerzählungen, welches sich um die geistige Ebenbürtigkeit von Mann und Frau als Voraussetzung glücklicher Ehen dreht. Zu Lucies Freude erweist sich Reinhart nicht als Herzensbrecher, sondern als schicksalkundiger Erzähler; zu ihrem Ärger lässt er die Helden seiner Geschichten nur dann eine glückliche Wahl treffen, wenn sie sich mit demütig-dienstbaren Frauen verbinden. Da steuert Lucies Oheim, ein alter Kavallerieoberst, eine persönliche Erfahrung bei und versetzt damit Reinharts Glauben an die männliche Wahlfreiheit in der Liebe einen schweren Stoß. Noch einmal holt der Gast weit aus und beeindruckt mit der Geschichte eines portugiesischen Seefahrers, der seine Zukünftige, eine afrikanische Sklavin, buchstäblich vom Boden aufliest. Doch Lucie kontert elegant mit einer jungen Indianerin, die einem französischen Offizier die Trophäen seiner Herzensbrecherkarriere abjagt. Entwaffnet räumt der Forscher das Feld, kehrt aber wieder, – und nun wächst die Zuneigung der beiden rasch über die Freundschaft hinaus und flammt als große Liebe auf. Beim Kuss errötet Lucie und lacht dazu: das Logausche Epigramm hat sich bewährt.
Das Sinngedicht bescherte Keller bei der zeitgenössischen Leserschaft und Literaturkritik den größten Erfolg seiner schriftstellerischen Laufbahn. In rascher Folge erschienen mehrere Auflagen. Rezensenten bescheinigten dem Autor klassisches Format und stellten das Werk an die Seite des Decamerone. Literaturhistoriker rühmten die Verflechtung von Rahmenhandlung und Binnenerzählungen als einzigartig kunstvoll. Letzteres wurde später auch bestritten: Der Wandel des literarischen Geschmacks, der im 20. Jahrhundert eintrat, erschwerte Lesern und Kritikern den Zugang zu einem Werk, dessen Autor modernen Themen bewusst aus dem Weg zu gehen schien. Dass die Erzählung in Wirklichkeit ein breites Spektrum solcher Themen entfaltet, unter ihnen so aktuelle wie das Verhältnis der Geschlechter und das Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaft („Zwei Kulturen“), wurde erst ab den 1960er Jahren deutlich, als sich die Literaturwissenschaft mit Erzähltheorie, Gender Studies, Diskursanalyse, Wissenschaftsgeschichte neue Forschungsgebiete erschloss. Wegen seiner Themenvielfalt stellt der Zyklus hohe Anforderungen an die Interpreten. Vor allem die Frage nach Kellers Haltung zur Frauenemanzipation und zum naturwissenschaftlichen Fortschritt fordert zu kontroversen Deutungen heraus. Einig sind sich die meisten Interpreten über die hohe literarische Qualität des Werks.
Keller gliederte den Text in dreizehn Kapitel. Vom siebten bis zum zwölften sind diese mit dem Titel der Novelle überschrieben, die darin erzählt wird. Davor und zum Schluss kündigen die Überschriften an, was im Kapitel geschieht. Dieser Kunstgriff, nach dem Muster des Don Quijote, taucht die Unternehmung des Herrn Reinhart in ein heiter-ironisches Licht. Die Rahmengeschichte ist durchweg aus der Perspektive der männlichen Hauptfigur erzählt. Der fahrende Naturforscher fasst seine Kussabenteuer anfänglich als Schritte einer wissenschaftlichen Versuchsreihe auf, nimmt sich dabei aber nicht halb so ernst wie Cervantes' sinnreicher Junker von der Mancha.
Herrn Reinharts Tagewerk beginnt mit der Verdunkelung seiner Studierstube. Von dem ganzen schönen Sommermorgen darf durch ein Löchlein im Fensterladen nur ein dünner Lichtstrahl herein, um dann durch Kristalle gelenkt zu werden, deren Baugeheimnisse er aufklären soll. Doch kaum blickt Reinhart in die Röhre, erinnert ihn ein stechender Schmerz daran, wie sehr diese Arbeit seinen Augen schadet. Während er darüber nachdenkt, was es mit gesunden Sinnen Gutes zu sehen und hören gibt – die weibliche Gestalt und Stimme etwa –, beschleicht ihn das Gefühl, als habe er mit dem Morgenglanz die Welt und die Menschen ausgesperrt und versäume über seiner Wissenschaft das Leben. Erschrocken stößt er die Fensterläden wieder auf und sucht eines der Bücher hervor, die von den halbvergessenen menschlichen Dingen handeln. Als er es aufschlägt, fällt sein Blick auf das Logausche Epigramm:
Wie willst du weiße Lilien zu roten Rosen machen?
Küß eine schöne Galathee, sie wird errötend lachen!
„Welch ein köstliches Experiment!“ ruft er aus. „Gerade so muss es sein: errötend lachen!“[2] Er notiert sich das Rezept und steckt den Zettel in die Brieftasche. Dann macht er sich reisefertig, mietet ein Pferd und verlässt die Stadt, entschlossen, nicht zurückzukehren, bis ihm der lockende Versuch gelungen.
Der fahrende Naturforscher kommt zu einer schönen neuen Brücke. Am Brunnen vor dem Zollhäuschen kämmt sich die junge Zöllnerin das von der Morgenwäsche feuchte Haar. Reinhart macht ihr Komplimente, plaudert mit ihr und vernimmt, dass es der Jugendgeliebte der Schönen war, der die Brücke so schlank und rank entworfen hat. Freilich habe der junge Baumeister, um den Auftrag zu erhalten, die bucklige Tochter eines Ratsherrn zur Frau nehmen müssen. Seither schaue er sie, seine Verflossene, nur noch verstohlen an und wage nicht mehr zu grüßen. Dafür kennten und grüßten sie nun alle Flussschiffer, und wer über die Brücke gehe, drehe sich nach ihr um. Reinharts ritterliches Angebot, auch er wolle das Lob ihrer Schönheit verbreiten – für einen Kuss –, schlägt sie aus. „So werde ich dennoch reden, auch wenn Ihr mich nicht küßt, böse Schöne!“ Da schwingt sie sich zu ihm hinauf, umhalst und küsst ihn lachend. Aber sie errötet nicht, obgleich auf ihrem weißen Gesicht der bequemste und anmutigste Platz dafür vorhanden war.
Zu Mittag steigt Herr Reinhart in einem dörflichen Pfarrhof ab. Seine Bekannten, die Pfarrersleute, preisen ihr Familienleben als fein ausgearbeitetes Kunstwerk der göttlichen Weltregierung, während die blühende Tochter dem Besucher zulieb ihr himmelblaues Seidenkleid anlegt: Auch hatte sie zwei goldene Löcklein entfesselt und eine schneeweiße Küchenschürze umgebunden; und sie setzte einen Pudding so sorgfältig auf den Tisch, wie wenn sie die Weltkugel hielte. Dabei duftete sie angenehm nach dem würzigen Kuchen, den sie eben gebacken hatte. Beim Abschied winkt sie den Gast geheimnisvoll hinter einen Fliederbusch und übergibt ihm einen Brief an ihre Freundin im Landhaus auf dem Berg. Reinhart ergreift die Gelegenheit: Zitternd stand sie still, und als er sie nun umarmte, erhob sie sich sogar auf die Zehen und küsste ihn mit geschlossenen Augen, über und über mit Rot begossen, aber ohne nur zu lächeln, vielmehr so ernst und andächtig, als ob sie das Abendmahl nähme.
Im Gasthaus „zum Waldhorn“ lässt Reinhart dem Pferd Hafer vorschütten und unterhält sich mit der einsamen, gutaussehenden Wirtstochter. Die Komplimente, die sie gerne hören möchte, hält er zurück, spricht von der Heuernte und den Preisen, und neckt sie damit so lange, bis sie ihn zum Flirt förmlich auffordert: „Fangen Sie an, Herr! und seien Sie witzig und vorlaut, und ich werde mich zieren und spröde tun!“ Nun aber verschlägt es ihm ob ihrer Zungenfertigkeit die Sprache, und sie bestreitet die Unterhaltung mit Grobheiten und seltsamen Schmeicheleien fast alleine. Die angebahnte Kussprobe unterlässt der Forscher, zumal er vorhersieht, dass die Schöne dabei lachen, aber nicht erröten wird. Denn schon drängt es ihn, keine unnützen Versuche mehr zu unternehmen und sich des lieblichen Erfolges im voraus würdig zu machen. Höflich nimmt er Abschied, gespannt, was ihn bei der Freundin der Pfarrerstochter erwartet.
Der Reisende hat einen Seitenpfad eingeschlagen, der sich bald im Dickicht eines Bergwaldes verliert. Als er nach beschwerlichen Irrgängen die Höhe erreicht, weicht die Wildnis einer kunstvollen Parkanlage. Ross und Reiter richten auf den verschlungenen Wegen einigen Schaden an und kommen inmitten von Blumenbeeten vor einem zierlichen Gitter zum Stillstand. Im Schein der Abendsonne erblickt Reinhart eine Terrasse mit einem von alten Bäumen umstandenen Landhaus. Davor, an einem Marmorbrunnen mit von Delphinen getragener Schale, steht eine schlanke Frauengestalt im weißen Sommerkleid und ordnet einen Korb frischgeschnittener Rosen. Reinhart steigt ab, öffnet die Brieftasche und überreicht ihr – anstatt des Briefes das Blättchen mit dem galanten Vers: Sie hielt es zwischen beiden Händen und sah den ganz verwirrten und errötenden Herrn Reinhart mit großen Augen an, während es zweifelhaft, ob bös oder gut gelaunt, um ihre Lippen zuckte. Als dieser Entschuldigungen stammelnd seine Fehlleistung korrigiert, hellt ihre Miene sich auf. Sie begrüßt den Eindringling mit einer schalkhaften Strafpredigt, worauf er sich wieder fasst und im gleichen Ton antwortet. Insgeheim nimmt er sich vor, hier oder nirgends das Sprüchlein des alten Logau [zu] erproben.
Lucie, so wird die Dame gerufen, entfernt sich, um dem erkrankten Hausherrn, ihrem Oheim, die Ankunft eines Gastes zu melden. Herr Reinhart folgt ihrer Einladung, sich im Hause umzuschauen, und mustert die Bilder und Bücher in ihrem Arbeitszimmer. Griffbereit beim Schreibtisch steht eine Sammlung von Autobiografien, auf einem weiteren Tisch liegen Pläne für Parkanlagen, auf einem dritten Vokabelhefte und Wörterbücher. Was er sieht, füllt ihn mit Achtung, doch macht es ihn auch beinah eifersüchtig. Als Lucie zurückkehrt, ruft er aus: „Warum treiben Sie alle dieses Dinge?“ worauf sie, statt zu antworten, ihn mit etwas strengerer Höflichkeit zu Tisch bittet.
Obwohl der Gast sogleich das Ungehörige seiner Frage einsieht, benimmt er sich beim Abendessen, an dem auch Lucies hübsche Mägde teilnehmen, erneut daneben. Erst erwähnt er sein Augenübel und zitiert dazu ein altes Volksarzneibuch: kranke Augen sind zu stärken und werden gesunden durch fleißiges Anschauen schöner Weibsbilder. Dann erzählt er, von unkluger Aufrichtigkeit geplagt, den vollständigen Hergang und die Beschaffenheit seines Ausfluges. Jetzt reicht es Lucie: Zornröte im Gesicht erhebt sie sich vom Tisch: „So gedenken Sie wohl, Ihre eleganten Abenteuer in diesem Hause fortzusetzen?“ Mit knapper Not kann Reinhart seinen Hinauswurf abwenden, muss aber zum Zeichen, dass er nichts im Schilde führt, den ruchlosen Reimzettel ausliefern. Nachdem Lucie das Blättchen verbrannt hat, lässt sie die Mädchen ihre Spinnräder hervorholen und erzählt die Geschichte einer törichten Jungfrau, eben jener Wirtstochter, von der sich der Naturforscher bei der Rast im „Waldhorn“ vorsichtshalber nicht küssen ließ. Sie heißt Salome.
Dort sitze sie immer noch, schließt Lucie. Für einen Landmann zu fein, für einen Städter zu grob, gehe sie ihrer Lieblingslaune nach, die Männer zu verachten und mit ihnen zu spielen.
Bei aller Anerkennung des freien Standpunkts der Erzählerin findet Reinhart dieses Urteil zu hart. Auch sind ihm die strafenden Anspielungen auf seine Kussabenteuer nicht entgangen. So beschließt er, Lucie Paroli zu bieten und die sitzengebliebene Schöne zu verteidigen: Immerhin habe sie Stolz bewiesen. Vielleicht könnte ein wahrhaft gebildeter, geistig überlegener Mann eine lohnende Aufgabe darin finden, „das Reis einer so schönen Rebe an den Stab zu binden und gerade zu ziehen.“ Lucie schaut ihn mitleidig an: „Edler Gärtner!“ […] „aber die Schönheit geben Sie also nicht so leicht preis wie den Verstand?“ Schönheit sei nicht das Wort, meint Reinhart, sondern Wohlgefallen, und wenn das Gesicht, „das Aushängeschild des körperlichen wie des geistigen Menschen“ auf Dauer gefalle, könne es über alle Unterschiede von Stand, Bildung und Temperament hinweg ein Paar zusammenhalten. Nichts davon lässt Lucie gelten, kehrt es erbarmungslos gegen ihn: Jetzt verstehe sie endlich: „das gefallende Gesicht wird zum Merkmal des Käufers, der auf den Sklavenmarkt geht und die Veredlungsfähigkeit der Ware prüft, oder ists nicht so?“ Mit solch „orientalischen Anschauungen“, prophezeit sie ihm, werde er sich dereinst eine Magd aus der Küche holen.
Die Mädchen kichern und spitzen die Ohren, Reinhart nimmt das Stichwort gelassen auf: Was ihm blühe, wisse er nicht, doch habe er den Fall erlebt, „daß ein angesehener und sehr gebildeter junger Mann wirklich eine Magd vom Herde weggenommen und so lange glücklich mit ihr gelebt hat, bis sie richtig zur ebenbürtigen Weltdame geworden, worauf erst das Unheil eintraf.“ Er erzählt:
Die Mädchen haben aufgehört zu spinnen und sind ins Träumen geraten. Lucie schickt sie ins Bett, da sie befürchtet, das angekündigte Unheil werde mit der Bildung zusammenhängen. Reinhart bietet an, sie mit dem Schluss zu verschonen; schließlich widerspreche er seinen eigenen Lehrsätzen. Doch sie möchte die ganze Wahrheit hören.
Altenauer sei nach Deutschland zurückgekehrt, um sich Regines Familie anzunehmen, habe aber nicht wieder geheiratet, endigt Reinhart seine Erzählung. Lucie gesteht ihm nachdenklich zu, dass mit den drei Parzen und der Malerin eine schlimme Abart der Bildung von Einfluss auf Regines Schicksal gewesen sei. Erwin aber habe aus Eitelkeit versäumt, „seiner Frauenausbildung den rechten Rückgrat zu geben“. Es ist spät geworden, man zieht sich zurück. Sie fürchte beinahe, sagt Lucie beim Abschied, „im Traum die schöne Person wie eine mythische Heroenfrau an der seidenen Schnur hängen zu sehen“.
Lucies Oheim, Oberst im Ruhestand, wird an Krücken zum Frühstückstisch geleitet. Er fasst den Gast scharf ins Auge und stellt fest, dass er als junger Leutnant mit dessen Eltern eng befreundet war. Die Entdeckung setzt ein heiteres Gespräch in Gang, in welchem der Oheim seine Nichte ein wenig aufzieht: „Ich hoffe, es gibt eine schöne alte Jungfer aus ihr, die ewig bei mir bleibt und auf meinem Grabe fromme Rosen züchtet“. Lucie reicht die Stichelei weiter: Das könne leicht geschehen, würden sich Ansichten wie die des Herrn Reinhart durchsetzen: „Denk dir, Onkel, […] die gebildeten Männer verbinden sich jetzt nur mit Dienstmädchen, Bäuerinnen und dergleichen; wir gebildeten Mädchen aber müssen zur Wiedervergeltung unsere Hausknechte und Kutscher nehmen, und da besinnt man sich doch ein bißchen!“ Ob Reinhart vielleicht eine weitere Treppenheirat auf Lager habe? Der Gast bejaht, kündigt „eine Heirat aus reinem Mitleiden“ an und erzählt:
Ob denn sein edler Frauenretter Brandolf nicht „am Ende selbst eher gewählt wurde, während er zu wählen glaubte“, fragt Lucie den Erzähler. Als dieser stutzt, erläutert sie: Ob er beim Erzählen wirklich nichts übersehen habe, was auf „eine bescheidene Einwirkung, ein kleines Verfahren, […] einen Rest von eigenem Willen“ der Frau von Lohausen hindeute? Reinhart, empört, verteidigt seine Figur: Es habe ihm ferngelegen, Hedwig als eine Person zu schildern, die mit gespielten Ohmachten ihren Zimmerherrn eingewickelt, vielmehr sei sie „eine Frauengestalt, die durch ihre Hilflosigkeit nur gewinnt und dem Geschlecht zur Zierde gereicht!“ – Hilflosigkeit als Zierde des weiblichen Geschlechts? Lucie triumphiert: „Ei natürlich, ja! So versteh ich es ja auch! […] ein sanftes Wollschäfchen mehr auf dem Markte! Diesmal handelt es sich noch um die Nutzbarkeit einer guten Wirtschafterin“. Die beiden sind nun kurz davor, sich allen Ernstes zu zanken. Das erkennt der Oheim und greift ein: Lucie brauche sich nicht zu ereifern, da sie ja doch ledig bleiben wolle; aber auch Reinhart müsse zurückstecken: „Mit unserer Wahlfreiheit und -herrlichkeit, bester Freund, ist es nämlich nicht gar so weit her, und wir dürfen nicht so sehr darauf pochen!“ Er selbst sei einmal „zum Gegenstand der Wahlüberlegungen eines Frauenzimmers geworden“ und dabei schmachvoll unterlegen. Ob seine Geschichte die jungen Leute interessiere?
Dass die Wahl Hildeburgs geheimsten Wünschen entsprochen habe, sei ihm schon damals klar gewesen, fügt der Oberst hinzu. Dann teilt er seinen Zuhörern trocken mit, Hildeburg, mit wirklichem Namen Else, habe bald darauf den Rechtsgelehrten Reinhart geehelicht und werde demnach die Mutter des Gastes sein. „Lebt sie noch? und wie geht’s ihr?“ Der Naturforscher, so plötzlich mit seiner Erzeugung konfrontiert, wird rot. Lucie verzieht keine Miene, aber ihre Augen lachen. Da lacht er tapfer mit, bejaht die Frage und gibt dem alten Herrn freundlich Auskunft. Unverhohlen schadenfroh schaut Lucie ihn erst an, als nachmittags die Pfarrersfamilie zu Besuch kommt und er der Tochter, die er hinterm Fliederbusch so forsch geküsst hat, brav die Hand geben muss.
Nachdem Reinhart sich mit dem Gedanken befreundet hat, der Sohn der willkürlichsten Manneswahl einer übermütigen Jungfrau zu sein, kehrt seine kampflustige Laune wieder. Spät abends greift er zu einem von Lucies alten Büchern, das von Seefahrten und Eroberungen des 17. Jahrhunderts handelt und entdeckt darin eine Geschichte, die ihm prächtig zur Abwehr gegen die Überhebung des ebenbürtigen Frauengeschlechts zu taugen scheint.
Eine dritte Treppenheirat, um die Lucie ihn am nächsten Morgen bittet, kennt Reinhart nicht, dafür aber den Fall, „wo ein vornehmer und sehr namhafter Mann seine namenlose Gattin buchstäblich vom Boden aufgelesen und glücklich mit ihr geworden ist.“
Als Reinhart geendet hat, spendet Lucie ihm ironisch Beifall: man wolle sich merken, „wie nützlich die Demut ist“. Dann geht sie zum Gegenangriff über: Apropos farbige Person werde sie nun auch ein Lesefrüchtchen beisteuern. Der Oberst spricht von einem Duell, in das er hineingeraten sei, Reinhart von einem Geschütz, das auf ihn gerichtet werde, aber beide ermuntern sie loszuschießen:
Die Erzählerin hat es offensichtlich eilig, die Runde zu verlassen, und entschuldigt sich lächelnd mit einem wartenden Handwerker. Bekümmert sieht Reinhart seine sanfte Zambo von Lucies wilder Quoneschi in den Schatten gestellt und das Küssesammeln, das ihn hergeführt hat, höchst unvorteilhaft verglichen:
Nachdem bei ihm der Groschen gefallen ist, hat auch Reinhart es eilig. Er sattelt den Mietsgaul, der sich auf Lucies Weide herausgefuttert hat, und dankt für die erfolgreiche Augenkur. Man scheidet in Freundschaft, er verspricht bald wiederzukommen und zieht so ernst seines Weges wie ein Afrikareisender.
Zurück in seinem Laboratorium merkt er, wie sehr Lucie ihm fehlt, und dass er auf dem Weg ist, seine Junggesellenfreiheit zu verlieren. Den Sommer über schreibt er ihr Briefe, lässt aber von seinem Zustand nichts verlauten, zumal er fürchtet, einen Korb zu bekommen. Da schickt Lucie ihm eine Einladung: Die Eltern Reinhart seien auf dem Landhaus zu Gast, und der Sohn dazu dringend erwünscht. Reinhart lässt sich nicht zweimal bitten, und als an einem schönen Nachsommertag die Alten zu einer Visite bei der Pfarrersfamilie aufbrechen, sind die Jungen erstmals unter sich.
Ihre Befangenheit schwindet bei einem Gespräch in der Bibliothek. Reinhart bittet Lucie um eines ihrer Bücher. Anhand der guten Gedanken, die sie an den Rand geschrieben habe, hoffe er herauszufinden, was sie an diesen Lebensbüchern so fesselt. Nun bleibt sie ihm die Antwort nicht länger schuldig: „Ich suche die Sprache der Menschen zu verstehen, wenn sie von sich selber reden“. Das sei nicht einfach; denn jeder Autobiograf, so freimütig er auch mit Geständnissen aufwarte, verschweige doch irgendwelche Fehler und Schwachheiten:
Während sie zu dieser Frage ihre Meinungen austauschen, blättert Reinhart in einem Buch und entdeckt ein seltsames Lesezeichen: Aus bunter Seide gestickt zwei Herzen, eines im Erdreich wurzelnd, das andere sich feurig zum Himmel emporschwingend. Das Bildchen, erklärt Lucie, stelle die irdische und die himmlische Liebe dar. Sie habe es während ihrer Zeit im Kloster angefertigt. „Ich bin nämlich katholisch!“ fügt sie errötend hinzu. Kein Grund, rot zu werden, findet Reinhart, dem konfessionelle Unterschiede wenig bedeuten. Darauf sie: „Ich bin nicht katholisch geboren, ich bin es geworden!“ Als er erschrocken aufblickt, fährt sie fort: „Sehen Sie, da haben wir gleich so eine Geschichte, von der man nicht weiß, ob man sie bekennen oder verschweigen soll!“
Vormund bis zur Volljährigkeit, endigt die Erzählerin, sei ihr Oheim geworden. Zusammen mit ihm, der von ihrer Konversion nichts ahne, habe sie vor sieben Jahren das Landhaus erworben und lebe seitdem hier:
Das Gleichnis von der Impfung will Reinhart ihr nicht gelten lassen. Was ihr geschehen sei, widerfahre nur Wesen, „deren edle angeborene Großmut des Herzens der Zeit ungeduldig, unschuldig und unbewußt vorauseilt.“ Zu dieser Großmut gehöre der Kinderglaube an die Scherzworte des Kardinals wie ein Taubenflügel zum anderen, „und mit solchen Flügeln fliegen die Engel unter den Menschen“. Lucie bedankt sich gewohnt schalkhaft für die Artigkeit und das „gnädige Urteil“, atmet aber hörbar auf: „Sehen Sie, nun bin ich erst ganz von der verwünschten Heimlichkeit befreit. Wie schwierig ist es, einen Beichtvater zu finden, wie man ihn braucht!“
Nun drängt es beide ins Freie. Auf einem Spaziergang durch den Wald hinab zu Dorf und Fluss begegnen ihnen allerlei kleine Natur- und Kulturwunder: eine Eiche, die eine Buche in den Armen hält, eine Schlange, die der kundige Reinhart von einem Bachkrebs befreit, der sie anzufressen versucht, und zuletzt ein Schuhmacher, der in seiner Werkstatt beim Ziehen von Pechdraht[5] Goethes Jugendlied „Mit einem gemalten Bande“[6] singt, sächselnd zwar und begleitet von überlauten Kanarienvögeln. Eigentlich sollen sie dem jungen Meister eine Botschaft von seiner Braut, Lucies Dienstmädchen, überbringen. Doch von der lärmenden Lebenshoffnung im Schusterhäuschen überwältigt, vergessen sie es und wenden sich einander zu. Beim Kuss hat Lucie die Augen voll Wasser, lacht aber dazu und wird purpurrot von einem lang entbehrten und verschmähten Gefühle. Erst auf dem Heimweg fällt ihnen ein, dass sie jetzt doch das Rezept des alten Logau ausgeführt haben, und zwar ohne daran zu denken. Reinhart fragt Lucie um ihre Hand und die beiden kehren als Verlobte zurück.
Zeitgenössische Rezensenten und Leser priesen den Schluss des Sinngedichts, ohne auf die Schlusspointe, die Bewährung des Epigramms, näher einzugehen.[7] Als 30 Jahre später das Bedürfnis erwachte, dem Werk einen tieferen Sinn abzugewinnen und ein zentrales, die Geschichten verbindendes Thema zu erschließen, versprachen sich die Interpreten von ebendiesem Epigramm den Schlüssel.[8]
Erröten und Lachen, körperliche Zeichen für seelisch-geistige Vorgänge, die der Kontrolle durch den Willen ganz oder weitgehend entzogen sind, – was zeigen sie an? Welche Bedeutung schreibt Keller ihnen zu, wenn er das 200 Jahre alte Sinngedicht des Friedrich von Logau aufgreift und motivisch verarbeitet? Der Zyklus bietet eine Art Phänomenologie des unwillkürlichen Gefühlsausdrucks:[9] Haupt- und Binnenerzähler unterscheiden fröhliches, mürrisches, triumphierendes, gezwungenes Lachen, schamhaftes, verwirrtes, zorniges, freudiges Erröten. Auch Männer werden im Sinngedicht schamrot, vornweg Herr Reinhart;[10] er und Lucie erröten gleich oft, zweimal sogar gleichzeitig;[11] das Hauptphänomen, das galatheenhafte Erröten-und-Lachen, kündigt sich mehrfach an;[12] in voller Deutlichkeit erscheint es jedoch nur einmal und ganz zum Schluss. Welche Bewandtnis hat es damit?
Bis Mitte der 1960er Jahre galt hier fast uneingeschränkt die Interpretation Emil Ermatingers: „Erröten ist das Zeichen der Scham, des Gefühls der notwendigen sittlichen Grenze; Lachen ist das Zeichen des sinnlichen Wohlseins, der heiteren Freiheit.“[13] Und: „Wahrung der sittlichen Schranke mitten im freien Genusse, das war die Deutung, die Keller aus seiner Weltanschauung heraus Logaus Wort ‚errötend lachen‘ geben mußte“.[14] Herr Reinhart, so stand für Ermatinger fest, „will durch den Kuß eine tüchtige Ehe gründen, nicht sich bloß belustigen.“[15] Wenn dies zutrifft, begibt sich der Forscher nicht beschwingt und spontan auf erotische Entdeckungsreise, sondern pedantisch und vorbedacht auf Brautschau; er küsst nicht, weil es ihm danach ist, und um das lockende Phänomen zu Gesicht zu bekommen, sondern führt planvoll eine Reihe von Persönlichkeitstests durch, in der Erwartung, der Simultaneffekt errötend lachen werde die Versuchsperson zur Gattin qualifizieren. Keller hätte demnach „aus seiner Weltanschauung heraus“ das galanten Epigramm zu einem philiströsen Ratgeber in Sachen Gattinnenwahl umgedeutet.
Gegen diese Interpretation erhob Wolfgang Preisendanz 1963 in einem viel beachteten Aufsatz Einspruch.[16] Er verwies auf das Schlusskapitel, worin das Epigramm sich in dem Moment bewährt, als die beiden an das schlimme Rezept (Lucie), das köstliche Experiment (Reinhart) gar nicht denken. Der Versuch gelingt, obwohl oder gerade weil er nichts mehr beweisen muss.[17] Preisendanz wandte sich damit gegen die Auffassung, Kellers Sinngedicht stamme „aus der Welt des bürgerlichen Familienromans“ und bleibe in ihr befangen,[18] ein Vorurteil, zu welchem der Leser gelangen müsse, wenn er ohne Kenntnis des Textes Ermatingers Deutung folge.[19]
Darüber hinaus führe das Schema Sinnlichkeit-Sittlichkeit zu einem „beklemmend formelhaftem Verständnis der einzelnen Geschichten“.[20] Diese gelte es unbefangen zu lesen und auf Gemeinsamkeiten zu prüfen. Rekapitulierend kam Preisendanz zum Ergebnis, dass es in allen Sinngedicht-Novellen um den Unterschied von „Sein und Schein, Wesen und Erscheinung, Grund und Oberfläche, Antlitz und Maske, Gestalt und Vermummung“ gehe, um die „problematische Spannung zwischen dem, was ein Mensch darstellt, vorgibt, vorstellt, und dem, was er vorenthält, verhehlt, verbirgt“ – an Lucies skeptische Ansicht über die Aufrichtigkeit der Autobiografen zu denken.[21] Zwar offenbare sich im spontanen Gefühlsausdruck, im Logauschen Phänomen, sehr wohl jene feste Verbindung zwischen moralischer und physischer Welt, auf die der Naturforscher Reinhart vertraut. Doch im Grenzgebiet beider Welten, wo die verschlungenen Wege menschlicher Willkür und die geradlinigen der Naturkausalität einander durchkreuzten, habe die experimentelle Methode das Spiel verloren. Was das Epigramm verheiße, könne nur erleben, wer sich auf Lucies Territorium begebe, mit ihr zusammen menschliche Schicksale verstehen lerne, Geschichte und Geschichten, fremde und eigene. Hier, im Labyrinth der Einbildungen, Vieldeutigkeiten, Verhüllungen, sei ihre Methode, an der Hülle zu zweifeln und nach dem Kern zu fragen, die angemessenere.[22]
Diese Methode, nämlich die traditionelle der Erzähler und Dichter, gegenüber der modernen, naturwissenschaftlichen zu rechtfertigen, darauf komme es dem Autor hauptsächlich an.[23] Preisendanz’ Aufsatz schließt mit dem Hinweis auf Zolas Manifest Le roman expérimental, mit welchem sich um 1880 der Naturalismus Bahn zu brechen begann. So betrachtet, gewinnt der Zyklus auch das Ansehen einer literarischen Positionsbestimmung: Keller wendet sich im Sinngedicht gegen die von den Naturalisten geforderte Verwissenschaftlichung der Literatur und plädiert für die Reichsunmittelbarkeit der Poesie, worunter er das Recht versteht, zu jeder Zeit, auch im Zeitalter des Fracks und der Eisenbahnen, an das Parabelhafte, das Fabelmäßige ohne Weiteres anzuknüpfen.[24]
Als 1880, kurz vor dem Erscheinen des Sinngedichts, Ibsens Nora oder Ein Puppenheim auf deutschen Bühnen Furore machte, verglich der junge Theaterkritiker Otto Brahm das Stück mit dem Sinngedicht. Sein Eindruck: „Auch diese Dichtung dreht sich […] im Grund um dieselbe sociale Frage, auch hier polemisiert der Autor gegen den Egoismus des Mannes, der in seiner Gattin nicht die gleichberechtigte Genossin, sondern eher ein zu überwachendes und aufzuziehendes Kind, ein zerbrechliches Spielzeug aus dem ‚Puppenheim‘ sieht“.[25] Ähnlich ließ sich Fritz Mauthner vernehmen: Das Sinngedicht sei in seinem Ausblick auf die Ehefrage „so modern wie George Eliot, wie nur Ibsen in seiner ‚Nora‘ und das selbstbewußteste Weib könnte mit der Stellung zufrieden sein, die Keller ihm zuweist.“[26] Solche Ansichten blieben vereinzelt. Als prägend erwies sich Ermatingers Lektüre. Diese stützte sich auf Reinharts Karikatur der drei Bildungsdamen und der Malerin in Regine und ergab, dass Keller die Emanzipierten „aufs grimmigste hasst, weil sie mit ihrer Verfälschung der Geschlechtsunterschiede die Natur zu verfälschen trachten.“[27] Lucie wurde unter dieser Voraussetzung entweder nicht als Emanzipierte wahrgenommen, oder aber als eine Person, die „den Hochmut der Emanzipierten verlernen und ihrem Gefühl Raum geben“ muss.[28] Auch in den feministischen Interpretationen, die seit den 1980er Jahren entstanden sind, überwiegt dieses Bild von Lucie, freilich mit dem Unterschied, dass sie nun als Frau gesehen wird, die im Schlusskapitel vor dem Mann kapituliert. Die semantische Färbung, die Ermatinger Reinharts Aktivitäten durch das Wort „Brautschau“ verliehen hatte, blieb ungeachtet ihrer Unstimmigkeit erhalten. Sie fand Eingang in Literaturgeschichten,[29] aber auch in ausführliche Interpretationen wie die Gerhard Kaisers. Für ihn ist Herr Reinhart „zur planvoll-experimentellen Auswahl einer Dame für Ehezwecke aufgebrochen“.[30]
Preisendanz’ Lektüre ergab, dass der Zyklus nicht von einer einseitigen Probe handelt, sondern von einer gegenseitigen Prüfung. Hinter dem „Geplänkel“ um Treppenheirat und Wahlherrlichkeit stehe die Frage: „mit wem habe ich es eigentlich zu tun?“[32] Die Ansichten, die Reinhart im Streitgespräch gegen sie hervorkehrt, nennt Lucie „orientalisch“ und vergleicht seine Einstellung mit der eines Paschas auf dem Sklavenmarkt. Die spöttische Abwehr hindert sie indessen nicht, die Schicksale, die er erzählt, aufmerksam zu verfolgen. Seine drei Geschichten enthalten Botschaften, die sie nahe angehen: Der Mann soll die Frau in schwieriger gesellschaftlicher Lage nicht allein lassen wie Erwin Regine, soll die Verkümmernde in gute Erde pflanzen wie Brandolf die arme Baronin, er soll der Niedergedrückten die Hand zum Aufstehen bieten wie Don Correa der Zambo. Über das Prekäre ihrer eigenen Lage macht Lucie sich keine Illusionen: Jeder aufmerksame Beobachter muss sich fragen, warum sie, eine strahlende Erscheinung, ihre besten Jahre in dieser vornehmen Einsamkeit[33] in einem klosterartigen Hause[34] verlebt – was ist da vorgefallen, was nagt an ihr? Solche Fragen würde ein gewöhnlicher Gebildeter, sei er leichtsinniger Anbandler oder seriöser Brautwerber, still für sich behalten und seine Bewunderung für literaturbeflissene, unabhängig denkende Frauenzimmer hervorkehren. Reinhart dagegen fragt laut und ungehörig: „Warum treiben Sie alle dieses Dinge?“[35] Er setzt Lucie damit in Verlegenheit, sie errötet; er aber auch, da ihm siedend heiß einfällt, worauf diese Frage hinausläuft: Schönste, weißt du nichts Besseres zu tun? oder noch deutlicher: was hast du erlebt?[36] Doch dann erzählt er in drei Anläufen, wie eine im Elend aufgewachsene Magd, eine von Brüdern und Ehemann schwer verletzte Geschiedene und zuletzt eine Sklavin auf Dauer zur Gefährtin eines gebildeten Mannes werden kann, sofern dieser über seiner Bildung nicht die schlichte Menschlichkeit vergisst. Lucie nimmt zur Kenntnis, dass der seltsame Gast ihr nicht nach dem Munde redet. Selbst der Hohn, mit dem sie ihm den blanken Eigennutz vorhält, welcher die Herrn der Schöpfung gewöhnlich antreibt, wenn sie sich als Erlöser und Bildner des Weibergeschlechts aufspielen, schreckt ihn nicht davon ab, seinen Standpunkt zu verfechten. Das gefällt ihr; falls sie sich noch einmal verlieben will, dann nicht in einen Wankelmütigen.
Durchs Erzählen fremder Liebeshändel haben die beiden einander erforscht, ihre äußeren Vorlieben und Abneigungen, aber auch ihren charakterlichen Kern. Lucie ist nicht entgangen, dass in dem Mietsgaulreiter wie in Don Quijote ein nobles, zeitlos ritterliches Herz schlägt.[37] Letzte Gewähr dafür bietet ihr seine Reaktion auf die Enthüllung ihres Geheimnisses. Doch schon dass sie es ihm anvertraut, zeigt, wie wenig sie befürchtet, er werde ihre gesellschaftliche Schlagseite ausnützen, um aus ihr „ein gedrücktes Hausfrauchen, so ein bescheidenes aufgewärmtes Sauerkräutchen“ zu machen.[38] Preisendanz: „Nur vor einem Mann, dessen Kern sie völlig sicher ist, kann sich Lucie von der verwünschten Heimlichkeit befreien“.[39]
Umgekehrt kann Reinhart sich darauf verlassen, dass Lucies Bildung in die Tiefe reicht, Herzensbildung ist, nicht Glamour, Mittel zur Befriedigung von Geltungsdrang und Machtbedürfnissen wie bei den drei Parzen, die er in Regine vorführt. Gleich nach der nächtlichen Aussprache über Regines Schicksal ist er sich seiner Zuneigung sicher:
Was den Naturforscher für Lucie einnimmt, ist ihr Geist. Dass dieser sich auch als Widerspruchsgeist äußert, macht ihn vorübergehend kleinmütig: „Da lob’ ich mir die ruhige Wahl eines stillen, sanften, abhängigen Weibchens, das uns nicht des Verstandes beraubt!“ sagt er sich nach der Geschichte von Hildeburgs Gattenwahl, um gleich darauf fortzufahren: „Aber freilich, das sind meistens solche, die rot werden, wenn sie küssen, aber nicht lachen! Zum Lachen braucht es immer ein wenig Geist; das Tier lacht nicht!“ Freundschaft, geistige Gemeinschaft, ein Verhältnis, in welchem kein Teil den anderen bevormundet und dominiert, erscheint im Sinngedicht als Vorstufe einer Liebe und gutes Omen einer Ehe.
Dass Keller die Freundschaft als Grundlage dauerhafter Liebe darstellt, wird in neueren Interpretationen teils anerkannt, teils bestritten. Letzteres von Adolf Muschg, wenn er sich so äußert: „Große Dichtung redet von der Frau oft nicht anders als der Biertisch.“ Kellers Sinngedicht sei „bei unfreundlichem Licht besehen die Prüfung einer Auswahlsendung von Frauenware […] kunstvoller und lehrhafter Markttip […] eine höhere Art von Fleischbeschauung.“[41] Dagegen findet Gunhild Kübler im Sinngedicht „ein beachtliches emanzipatorisches, ja feministisches Potential“.[42] An die Stelle des Traumes, in welchem die Frau von Mannes Gnaden existiert, träten darin „neue, aufklärerisch-egalitäre Vorstellungen von Erotik und ehelicher Liebe, wie sie in der Literatur dieser Zeit einzigartig sind.“[43] Ihr Fazit: „Große Dichtung […] redet von der Frau eben nicht wie der Biertisch, und genau das ist eines der Merkmale ihrer Größe.“[44]
Während die Interpreten mehrheitlich bei Reinhart einen Lern- und Entwicklungsprozess feststellen, bleibt er für Ursula Amrein und die Mehrzahl der feministischen Interpreten ein Chauvinist, „der, um sich seiner männlichen Überlegenheit zu versichern, an zwei Fällen demonstriert, wie die Unterlegenheit der Frau zur unbedingten Voraussetzung einer glücklichen Ehe gehört.“[45] Lucies Selbstoffenbarung erscheint so als Akt der Unterwerfung, Reinharts Reaktion darauf als „integrative Aneignung der Frau“: „Diese Aneignung vollzieht sich, indem der Mann die Frau als Beichtvater seinem Gesetz unterstellt und sie so als sein Geschöpf in die von ihm repräsentierte Ordnung überführt. Als Beichtvater löst er zugleich das Rätsel der Frau. Dieser Vorgang, der sich im Text als Erlösung der Frau präsentiert, beinhaltet faktisch deren Unterwerfung. Denn indem der Mann das Geheimnis der Frau löst, gewinnt er Macht über sie.“[46] Ähnlich sieht dies Gerhard Kaiser, wenn er Lucie ein Puppenheim-Schicksal voraussagt: Zwar werde sie „nicht zum Heimchen am Herd schrumpfen“; gleichwohl: „Der blickverengte Naturforscher wird in Zukunft ein beglückter Naturforscher sein, dem die kultiviert liebende Gattin die Falten der Stirn und die Müdigkeit der Augen wegstreichelt.“[47] So gelesen läuft Kellers Sinngedicht nicht auf die Anerkennung der geistigen Ebenbürtigkeit und Gleichberechtigung Lucies hinaus, sondern auf Aneignung, Nutzbarmachung und Zähmung einer Widerspenstigen.
Nach Kaiser repräsentieren Reinhart und Lucie unterschiedliche Lebensformen, die naturwissenschaftlich-technische und die schöngeistig-literarische, – zwei Kulturen im Sinne der These von Charles Percy Snow, die seit dem 19. Jahrhundert einander immer fremder werden.[48] Deren Gegensatz sei im Disput um die Ebenbürtigkeit von Mann und Frau untergründig wirksam und werde durch den Friedenskuss der Kontrahenten nicht aufgehoben. Gerade hier, beim gemeinsamen Waldspaziergang, lasse eine Bemerkung Reinharts die Bruchlinie zwischen seiner naturwissenschaftlichen Welterklärung und Lucies auf Sprache und Verständnis gegründeter Lebensform deutlich erkennen.[49] Der Streit um Vorrang, den die zwei Kulturen führten, gehe hinter dem Rücken des vereinten Paares weiter. Die Erzählung ende nicht mit einem Triumph von Lucies Kultur, der Autor halte den Ausgang bewusst in der Schwebe, gebe jedoch klar zu verstehen, welcher Seite er zuneige. Dies geschehe durch eingeflochtene Hinweise auf Goethe und dessen Kritik an der Newtonschen Optik. Überdies sei Lucie als die überlegene und „menschlich reichere Gestalt ausgeprägt“.[50]
Das Sinngedicht somit als Rechtfertigung des Poetischen angesichts der naturwissenschaftlichen Herausforderung, – Kaiser stimmt Preisendanz’ These zu, teilt aber nicht dessen Ansicht, dass zu diesem Kellerschen Projekt auch der Naturforscher beiträgt, es sei denn als negative Kontrastfigur. Reinhart erscheint Kaiser als „ein aufgeklärter Dunkelmann“,[51] der sich der geistigen Welt Lucies zeitweilig nähere, seelisch aber aus seiner verdunkelten Studierstube nie voll ans Licht trete. Noch in der Liebesszene verhalte er sich seltsam hölzern und gefühllos. Anders als Lucie, die ihm ihre bewegte Jugendgeschichte anvertraut, besitze er keine erzählenswerte Vergangenheit, sei geschichtslos und wirke entsprechend gesichtslos, – ein lebensplanender Rationalist, wie seine Verbindung von (nützlicher) Augenkur mit (angenehmer) Brautschau zeige. Mit ihm, dem „blickverengten Naturwissenschaftler“, werde „ein Leittypus der Zeit zum fragwürdigen Helden gemacht“, ein Mensch, dessen „abstrahierender wissenschaftlicher Umgang mit dem Leben und der Welt etwas Tötendes an sich hat“.[52] Dass ein solcher Mensch als charmanter Plauderer und ernsthafter Erzähler „sprachmächtig“ werden und eine Frau wie Lucie gewinnen kann, erstaunt Kaiser. Zur Erklärung verweist er auf die Kellersche Reichsunmittelbarkeit der Poesie: Es gehe in der Haupthandlung wie im Märchen zu, wo „Dümmlinge […] am Ende das Glück gewinnen“ und weise Frauen über wundersame kathartische Kräfte verfügen.[53]
Kaisers Auffassung wird neuerdings von biographischer Seite her bestritten. Aus Briefen von Kellers Freund Jakob Christian Heusser, die erst 2011 veröffentlicht wurden,[54] geht hervor, dass die Reinhart-Figur nicht frei erfunden ist. Keller hat sie mit Zügen Heussers, eines Naturwissenschaftlers ausgestattet. Die beiden lernten sich 1851 in Berlin kennen, wo Heusser im Labor von Heinrich Gustav Magnus mit kristall-optischen Untersuchung beschäftigt war. Viele Einzelheiten des ersten Kapitels, die Schilderung des Arbeitsgemachs, des darin aufgebauten Apparats, selbst Reinharts Augenschmerzen, verdanken sich dem Umgang des Autors mit diesem Freund. Die Fiktion beginnt an dem Punkt, wo Keller den Naturforscher das Logausche Sinngedicht entdecken lässt, das er in Wirklichkeit 1851 selbst entdeckte. Insofern handelt es sich bei der Reinhart-Figur um ein Mischporträt, in dem Züge Heussers mit Zügen Kellers zusammengeflossen sind. Dies – so die Argumentation – erkläre die Haltung des Autors zu seiner Figur: freundliche Ironie vermischt mit Selbstironie. Hätte Keller den Naturforscher als finsteren Pedanten oder sonst wie dunkelmännisch erscheinen lassen wollen, wären ihm dazu die Mitteln beißender Satire zu Gebote gestanden. Stattdessen belohne er ihn mit einer Frau wie Lucie. Die seit den 1960er Jahren in der Sekundärliteratur spürbare Dämonisierung der Reinhart-Figur sei ein interpretatorisches Artefakt und Ausdruck des in den Geisteswissenschaften verbreiteten Ressentiments gegen Naturwissenschaftler; somit selbst ein Symptom der zunehmenden Entfremdung zwischen den „Zwei Kulturen“.[55]
Klaus Jeziorkowski untersucht die ins Sinngedicht eingeflochtenen Verweise zu anderen literarischen Texten. Er macht dabei auf eine Szene im Anfangskapitel aufmerksam, aus der ein anderes, weniger düsteres und widersprüchliches Bild des Naturforschers Reinhart hervorgeht:[56] Als Reinhart sich auf die lange vernachlässigten menschlichen Dinge besinnt, fällt ihm seine Sammlung schöngeistiger Literatur ein. Sie steht in einer Bodenkammer. Nachdem er das Tageslicht wieder hereingelassen hat, steigt er dort hinauf und greift als erstes zu einem Band Lessing, – dem Band, in dem er wenig später das Logausche Epigramm entdeckt.[57] Er zieht ihn hervor, befreit ihn vom Staub und sagt:
Jeziorkowski: „Für Keller ist Lessing der Licht-Bringer, der Aufklärer in Person“.[58] Es steckt somit nicht wenig Kellersches in der Figur des Naturforschers, auch in seiner ausfälligen Bemerkung über Leute, die den Dichter bloß im Munde führen. Jeziorkowski identifiziert die Waschweiber als Literaten, die mit schlechten Literaturgeschichten und Lobhudelei auf Lessing Kellers Zorn erregten.[59]
Offensichtlich hat sich der Naturforscher intensiv und kritisch mit schöngeistiger Literatur auseinandergesetzt, bevor er sich ganz auf das Naturstudium verlegte. Ohne eine solche Vorgeschichte käme die Haupthandlung nicht in Gang, oder endete spätestens dort, wo Lucie ihren Gast einlädt, sich im Landhaus umzusehen. Ein Spezialist mit beschränktem Horizont würde sich wohl kaum für Lucies Büchersammlung interessieren, keine Eifersucht auf ihr Treiben spüren und keine provokanten Fragen stellen; er könnte sich mit ihr nicht messen.
Reinhart erwähnt Lucie gegenüber nur einmal seine etwas willkürlichen und ungeregelten Studien.[60] Mehr über Lebensform, Philosophie und Bildungsgeschichte des Naturforschers lässt sich dem Anfangskapitel entnehmen. Den Anspielungsreichtum und die vielsagende Ironie dieses „epischen Eingangs“ hat erstmals Preisendanz untersucht: Die Erwähnung eines Werks von Darwin gleich im ersten Satz (Gesetz der natürlichen Zuchtwahl), die Schilderung von Reinharts Arbeitsgemach samt Inventar (Studierstube eines Doctor Fausten, aber durchaus ins Moderne, Bequeme und Zierliche übersetzt), die Bemerkung über die schöngeistigen Schriften in der Bodenkammer (eine verwahrloste Menge von Büchern) und andere mehr. Die folgende Stelle, auf dem Hintergrund der Lessing-Anrufung gelesen,[61] lässt erkennen, warum Reinharts mit dem Rücken zum Literaturbetrieb seiner Gegenwart lebt:
Grund der Abkehr ist die entfärbte, heruntergekommene Bildung, die museale Klassiker-Verehrung, der Kult um die gipserne Venus, den er in Regine karikiert. Goethes Faust, „gescheiter als alle die Laffen, / Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen“, wandte sich der Magie zu. Kellers Reinhart, verdrossen vom Gewäsch der Literaten, hat sich auf die Erkundung des Stofflichen und Sinnlichen konzentriert. Das geschah im Vertrauen auf die feste Verbindung zwischen den Naturgesetzen und den moralischen Erscheinungen. Nun aber fühlt er, dass sich dieses Vertrauen nicht bewähren kann, wenn man sich einsperrt und die Begegnung mit dem Leben auf die lange Bank schiebt.
Mit dieser Einsicht verlässt der moderne Faust sein Laboratorium, fährt aus – als Mephistopheles’ Zaubermantel dient ihm das galante Poem – und begegnet Lucie. Sie ist es, die dem Bildungsverdrossenen das Leben wieder nahebringt. Durch sie wendet sich der Autor an seine Leserschaft und ermutigt die Vertreter der alteingesessenen literarischen Kultur dazu, den Vertretern der neu aufkommenden Kultur samt ihrem literarischen Gefolge mit Selbstbewusstsein zu begegnen.
Das Anfangskapitel des Sinngedichts ist mit ironischen Pointen gegen die Naturwissenschaft gespickt. Schon der erste Satz enthält eine:
Zunächst wird die Handlung auf Mitte der 1850er Jahre datiert, die Zeit des Materialismusstreits. Die Spitze richtet sich gegen die Ruhmredigkeit der naturwissenschaftlichen Wortführer in diesem Streit, die mit jeder neuen Entdeckung den Gipfel der Welterklärung erreicht sehen, wo doch wenig später eine noch neuere sie überbietet. Im selben Tonfall fährt der Autor-Erzähler fort und schildert die Studierstube des modernen Faust: Kein ausgestopftes Monstrum hing an räucherigem Gewölbe, sondern bescheiden hockte ein lebendiger Frosch in einem Glase und harrte seines Stündleins. Er mag noch eine Weile harren, denn der Forscher ist gerade mit der Aufklärung des Baus von Kristallen beschäftigt und spannt dazu statt Fröschen Lichtstrahlen auf die Tortur – eine Anspielung auf Goethes Polemik gegen Newton.[62] In dieser Umgebung genießt Herr Reinhart das große Schauspiel, […] welches den unendlichen Reichtum der Erscheinungen unaufhaltsam auf eine einfachste Einheit zurückzuführen scheint, wo es heißt, im Anfang war die Kraft, oder so was, – erneut eine Faust-Anspielung,[63] verbunden mit einem Seitenhieb gegen Ludwig Büchners Kraft und Stoff und den naturwissenschaftlichen Reduktionismus.
Dass solche Spitzen fest in der Struktur der Rahmenerzählung verankert sind, zeigen schon die Namen der Hauptfiguren: Der Kristallforscher, dessen Name sich aus den Wörtchen „rein“ und „hart“ zusammensetzt, wird selbst zum Untersuchungsobjekt. Er bekommt es mit einem weiblichen Wesen zu tun, das „Lux, mein Licht“ gerufen wird.[64] Dieses Lichtwesen regt ihn zu einer Art von Phosphoreszenz an in Form jener unklugen Aufrichtigkeit, die ihn bei Tisch befällt.[65] Er wird von den harten Strahlen ihrer Satirepfeile durch-leuchtet, wobei er sich beträchtlich erhitzt, aber seine Konsistenz behält. Im Endeffekt ist er er-leuchtet, strahlt jetzt selbst und nennt die Zeit, da er Lucie noch nicht kannte, ante lucem, vor Tagesanbruch. Auf die Spur dieses Concetto führt die Textanalyse der Naturwissenschaftlerin Henrike Hildebrandt.[66] Geisteswissenschaftliche Interpreten – der Zahl nach weit überwiegend – erkennen im Kristallkörper weniger den Gegenstand, als das Werkzeug der Untersuchung, das lichtzerlegende Prisma. Während Keller Reinhart etwas ganz Neues treiben lässt, Kristallographie, eine Forschungsrichtung mit Zukunft, sehen sie ihn mit der Wiederholung jener altertümlichen Versuche beschäftigt, deren Deutung durch Newton einst Goethes Polemik veranlasste. Am Ende dieser Fährte wird er dann als ein zum Goetheanertum bekehrter Newtonianer entdeckt.[67] Auf eine solche Umkehr gibt es im Text keinen Hinweis. Zwar folgt Reinhart Goethes Aufruf „Freunde flieht die dunkle Kammer“,[62] doch macht dies den erklärten Verächter von Kulten nicht zum Anhänger der Farbenlehre, Signum des Goethekults. Kurz: Kellers ironische Abwehr gegen die Überhebung der ebenbürtigen Naturwissenschaft[68] überschreitet nicht die Grenze, schlägt nicht selbst wieder in die Überhebung des Poeten um, der für sich und seine Gefolgschaft die unumschränkte Deutungshoheit auf dem Gebiet des Menschlich-Moralischen fordert. Reinhart bleibt am Schluss des Sinngedichts, was er am Anfang war, Forscher, mehr Wahrheitssucher als Wahrheitsbesitzer, der Empirie verpflichtet. Dies geht aus einer Bemerkung hervor, die er im Schlusskapitel macht.
Was hat die Erwähnung des Gesetzes der natürlichen Zuchtwahl am „epischen Eingang“ des Sinngedichts zu bedeuten? „Warum werden wir ausgerechnet an Darwin, an das vielleicht folgenreichste naturwissenschaftliche Werk des 19. Jahrhunderts erinnert, obgleich es doch zur Zeit der Begebenheit noch gar nicht bekannt war?“[69]
Wie die Lessing-Stelle zeigt, ist Reinhart für den Autor Hoffnungsträger, ein Naturwissenschaftler, wie er sein soll: Einer, der sich an die Fakten hält, auch wenn sie – wie in der Regine-Erzählung – seiner schönen Theorie zuwiderlaufen; kein weltanschaulicher Propagandist, frei von Experten-Allüren, doch wenn es darauf ankommt, naturkundig mit Rat und Tat präsent. So auf dem Waldspaziergang, als er Lucie die von einem Krebs attackierte Schlange zu halten gibt („Fassen sie nur fest mit beiden Händen, es ist keine Giftschlange!“). Lucie überwindet ihre Scheu, das kleine Rettungsabenteuer stimmt sie glücklich („wie froh bin ich, dass ich gelernt habe, die Kreatur in Händen zu halten!“).
Jürgen Rothenberg, der Kellers Sinngedicht als antidarwinistische Streitschrift liest,[70] zitiert die Bemerkung, lässt aber während wir gierig mitessen aus. Kaiser moniert dies und hält dagegen, „dass Reinharts letztes Wort zum Schlangenabenteuer darwinistisch ist.“[71] Die Bemerkung kennzeichne exakt die Bruchlinie zwischen den zwei Kulturen. Der Naturforscher offenbare durch sie erneut seinen Lebensmangel. Er trete als Dozent, als distanzierter Theoretiker, als statuarische Autorität auf und präsentiere plötzlich eine umfassende Naturdeutung; es fehle „der leiseste Unterton einer gefühlshaften Wahrnehmung des Geschehens. Vielmehr wird die Situation blitzhaft durchröntgt, in ihrer lebendigen Oberfläche, sozusagen ihrer atmenden Haut, durchdrungen und zur tödlichen Raubtierwelt skelettiert“.[72] Dem steht entgegen, was Reinhart weiter sagt, während er zuschaut, wie die befreite Schlange dem Spazierweg entlang durchs Gras schlüpft:
Reinhart weiß, dass Lucie Wahrheit ertragen kann. Doch nun kommt es ihm vor, als habe er ihr durch sein lautes Nachdenken zu viel davon zugemutet. Besorgt lenkt er ihren Sinn auf das Freundliche, Märchenhafte der Szene zurück. In diesem Kontext gewinnt die Bemerkung über den allgemeinen Vertilgungskrieg in der Natur einen anderen Sinn. Auch ist ihr Gestus nicht der, den Kaiser unterstellt: Reinhart trumpft nicht auf, schwingt keine weltanschauliche Propagandarede, am allerwenigsten spricht er als Zyniker. Er drückt aus, was einem aufmerksamen Beobachter, der das Verhältnis von Mensch und Natur illusionslos ins Auge fasst, angesichts eines solchen Rettungsabenteuers durch den Kopf geht. Seine Bemerkung zeugt auch von Gefühl, nämlich von jener stillen Grundtrauer, ohne die es, nach Kellers Wort, keine rechte Freude gibt.[73] Was die Bruchlinie zwischen den zwei Kulturen und die schattenhafte Präsenz der neuen Abstammungslehre angeht, besagen seine Worte freilich auch dies: Wir tun gut daran, zumal im Hochgefühl des Glücks, über unserer menschlichen Erhabenheit, nicht unsere tierliche Natur zu vergessen. Darwin äußert sich im Schlusswort seines zweiten Hauptwerks, Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, dessen Kernaussagen Keller bekannt waren,[74] ungefähr im selben Sinn:
Die Anrufung Lessings durch Reinhart, die Entdeckung des Logauschen Epigramms, die Anspielungen auf Goethes Faust; die Musterung von Lucies Lebensbüchern mit Erwähnung von gut zwei Dutzend Werktiteln auf und abseits der großen Leserstraße vom jüngeren Plinius bis Darwin, – all dies macht das Sinngedicht zur gelehrten, zur Literaturdichtung. Hinzu kommen mythologische und biblische Anspielungen, Bezüge auf Märchen- und Sagenfiguren, sowie die Formtraditionen, die das Werk fortführt, Boccaccios Decamerone[76] und Cervantes’ Don Quijote. Diese – im weitesten Sinne – Gestalten sind nicht Wissenszierrat, Bildungsballast, der Erzähler setzt sie ökonomisch ein, lässt sie in die Handlung eingreifen,[77] wenn auch nicht alle so dramatisch wie das Logau-Epigramm am Anfang und das Goethe-Liedchen am Ende. „Würde man die Reflexe von Kultur- und Literaturhistorischem im Sinngedicht ignorieren wollen, so sonderte man nicht eine Zutat ab, sondern brächte das Werk um seinen Nerv.“ So Klaus Jeziorkowski,[78] der einige dieser Bezüge bis in ihre Verästelungen verfolgt und dabei weitere, weniger offensichtliche entdeckt, etwa in Regine Kellers Abwehrhaltung gegen die Nibelungenpoesie Richard Wagners.[79] Wie Altenauers „frühwagnerianisch“ glorifiziertes Deutschlandbild so zeige auch Don Correas astrologische Fabelei,[80] Reinharts bedachtloser Umgang mit dem Epigramm und Lucies jungmädchenhafte Identifikation mit der Schillerschen Thekla, dass die Personen des Sinngedichts „generell dadurch gefährdet [sind], daß sich zwischen sie und die Realität Literatur stellt, daß sie literarisiert handeln, denken, leben, sich den Zugang zur Wirklichkeit verbarrikadieren durch das Buch. Sie haben ein Buch vor dem Kopf“.[81] Einen verwandten Gedanken spricht Reinhart aus, nachdem der Oberst ihm ein Licht über den Grund von Lucies Gegenwehr aufgesteckt hat: „So geht es,“ sagte er mit unmerklicher Bewegung, „wenn man immer in Bildern und Gleichnissen spricht, so versteht man die Wirklichkeit zuletzt nicht mehr und wird unhöflich.“[82] Jeziorkowski:
Kellers Verfahren zur Scheidung von Aktualität und Historie wird auch durch seine Behandlung mythologischer Gestalten deutlich. Der Name Galathea, ursprünglich als Titel vorgesehen,[84] kommt im Sinngedicht fast nur zitatweise vor, fest ins Logau-Epigramm eingebunden. Doch dieses Zitat, zweimal aufgefrischt,[85] erzeugt ein anhaltendes, leitmotivisches Echo. Sooft im Text vom Erröten oder Lachen die Rede ist, hallt von fern dieser Name wider. Auch richtet der Autor-Erzähler es so ein, dass an den weiblichen Figuren mehrfach Attribute von Nereïden auftreten, Kennzeichen, welche die malerische, epische und lyrische Überlieferung diesen Wesen zuschreibt. Eines davon ist ihre heimatliche Nähe zum Wasser, ein anderes ihre Lust am Anlocken, Necken, Überwältigen, Verzaubern, ja Vernichten von Männern. Beide zusammen ergeben zwar nicht die mythische Meeresgöttin, doch einen ihrer Aspekte: das Nixenhafte. Die Brückenzöllnerin, die sich überm Fluss das lange offene Haar kämmt und nach Schiffern ausschaut, trägt Züge der Heineschen Loreley; ebenso Salome, die schöne Wirtstochter „zum Waldhorn“: Wie die verlassene Geliebte des Brückenbauers nährt sie einen tiefen Groll gegen das andere Geschlecht,[86] und Lucie erklärt damit ihre Lieblingslaune, […] die Männer zu verachten und mit solchen zu spielen. Dagegen sind Reinharts drei Heldinnen weitgehend frei von Nixerei und Hexerei, während seine männermordende Antiheldin auf einer Felsenklippe überm Wasser haust. Lucie nennt ihre Heldin Quoneschi, Wasserjungfer. Dass eine solche Nymphe dem jungen Trophäenjäger einst den Meister zeigen wird, weissagt die Erzählerin aus dem Gehäuse der Taschenuhr, die der junge Thibaut geschenkt bekommt:
Mit der Erwähnung von Amphitrite, der schönen und berühmten Schwester Galatheas (ihr auf Gemälden oft zum Verwechseln ähnlich) nimmt die Erzählerin auch Reinhart aufs Korn, der mit seinem erotischen Reiseführer im Kopf „Galatheen in jedem Weibe“ sieht.[87]
Dichter und Publikum des 19. Jahrhunderts assoziierten mit Galathea auch den Namen Pygmalion. Im 10. Buch von Ovids Metamorphosen war die Frauenstatue, die der Bildhauer sich mangels einer liebenswerten Gefährtin erschafft und die auf sein Bitte von der Göttin Venus zum Leben erweckt wird, namenlos. Sie blieb es auch in den Nacherzählungen und Adaptionen dieses Märchens während vieler Jahrhunderte. Erst das Zeitalter der Empfindsamkeit begnügte sich damit nicht länger. Rousseau war vermutlich nicht der Erste, der ihr in seinem Melodram Pygmalion den aus Schäferspiel und Schäferroman vertrauten Namen Galathée gab, doch dieser Name haftete besser als andere und setzte sich durch.[88]
Zum philosophischen Interesse am Künstler-Schöpfer Pygmalion und zur empfindsamen Anteilnahme an seinem Bildungswerk[89] gesellte sich schon früh das Vergnügen an der komischen Seite des Statuenwunders.[90] Bühnendichter und -komponisten des 19. Jahrhunderts erkannten darin einen dankbaren Stoff für Operetten und Komödien,[91] in denen der Bildhauer als Pechvogel erscheint, welchem die zum Eigenleben erwachte Galathée allerlei Verdruss bereitet. An eine bühnengerechte Trauerspiel-Version des Stoffes war unter diesen Voraussetzungen nicht zu denken.
Wenn man Herbert Anton folgt, hat Keller es gleichwohl verstanden, die zur Lustspielcharge herabgesunkene (oder aufgestiegene) Figur ins Tragische zu wenden, allerdings unter Verschweigen ihres Namens und Handwerks. Anton: „Den Schlüssel für Kellers Rezeption der Pygmalion-Geschichte enthält die Regine-Novelle des Sinngedichtes.“[92] Tatsächlich ereignet sich dort eine Art verkehrtes Statuenwunder: Der Diplomat Altenauer, enttäuscht von den Töchtern seiner Gesellschaftsschicht, wählt edles Naturmaterial, um daraus ein Bild verklärten deutschen Volkstumes herzustellen. Aber der glänzende Abschluss seines Bildungswerkes misslingt, die lebendige Regine verstummt und verwandelt sich in ein Denkmal, kalt und leblos, jene mythische Heroenfrau, von der Lucie spricht. Auch in anderen Erzählungen und in der Rahmennovelle entdeckt Anton Motive aus verschiedenen Überlieferungen der Bildhauergeschichte.
Feministische Interpreten gehen über Antons Nachweis mythologischer Parallelen hinaus und sehen in der Pygmalion-Erzählung den Generalschlüssel zum Zyklus. An dieser Fabel lasse sich, so Ursula Amrein, „die Struktur eines männlichen Schöpferwahns beschreiben, in der jene Tötungs-, Belebungs- und Inzestphantasien präfiguriert sind, die im Sinngedicht das Eingehen der Frau in die Ordnung ihres Mannes begleiten.“[93] Die Autorin, die sich bei ihren Textanalysen vom dekonstruktivistischen Leseverfahren Kristevas leiten lässt und Themen wie Zuneigung, Vertrauen, Freundschaft, Liebe zwischen Frau und Mann ausklammert, zieht folgende Bilanz: „Die Frau […] ist nicht allein das von Pygmalion zu belebende Objekt. Ihr wird zugleich die Fähigkeit abgesprochen, selbst Leben hervorzubringen. Der Mann setzt sich damit unter Ausschluss der Frau an den Ursprung des Lebens. Er macht sich – wie der Naturforscher Reinhart – zum Schöpfer der Natur selbst, indem er sich diese im Kussexperiment stellvertretend über die Frau anverwandelt.“[94] Wenn dies ernst gemeint ist, dann hätte Keller mit Herrn Reinhart eine Figur erfunden, die alle megalomanen Naturwissenschaftler seit Frankenstein in den Schatten stellte; was die Frage aufwirft, ob eine solche Erfindung ihren Erfinder aus feministischer Sicht nicht schwer belastet. Doch Amrein rechtfertigt Keller und spricht ihm das Verdienst zu, die „als Befreiung verklärte Aneignung der Frau auf eine mit Gewalt verbundene Unterwerfung hin durchschaubar“ gemacht zu haben.[95] Diese Durchschaubarkeit verdanke sich Kellers uneindeutiger, vexierbildhafter Schreibweise,[96] welche der dekonstruktivistischen Lektüre, (deren Resultate freilich eindeutig sind), gleichsam den Boden bereite. Aus diesem Grund stellt Amrein im Schlusswort ihrer Studie den Autor des Sinngedichts auch nicht zu den literarischen Epigonen, räumt ihm vielmehr einen Platz unter den Vertretern, zumindest Vorläufern der postmodernistischen Erzählweise ein.
Herbert Antons These wurde auch pauschal bestritten: Weder ließen Altenauer und Reinhart sich als Pygmalion-Chiffren deuten, noch hätte Logaus Galathee etwas mit der Rousseauschen Galatée zu tun: Die Schäferinnen-Nymphen der galanten Poeten seien Leben und Liebe erweckende Gestalten, mit einer von der Bildhauer-Fabel unabhängigen, auf die antike Galateia zurückführenden Tradition.[97] Angesichts solcher Streitigkeiten ist an den Satz zu erinnern, den Keller Reinhart in den Mund legt: „Wenn man immer in Bildern und Gleichnissen spricht, so versteht man die Wirklichkeit zuletzt nicht mehr“. Dass Menschen die Wirklichkeit verkennen, sich irren, mit komischen oder tragischen Folgen, gehört mit zur Wirklichkeit. Insofern stehen Erwin und Regine für wirkliche Menschen, ihr tragisches Aneinander-vorbei-Schweigen ist dem Leben abgelauscht. Auch Lucie lässt sich auf kein mythologisches Vorbild reduzieren, weder auf die antike, noch auf die barocke, noch auf die Goetheschen Galathea,[98] jenen „Inbegriff der vollkommenen Schönheit, die Liebe erweckt, selbst aber von der Liebe nicht angerührt wird.“[99] Zwar brächte man, nach Jeziorkowskis Ausdruck, „das Werk um seinen Nerv“, wollte man übersehen, dass der Erzähler auf sie einen Abglanz der im Muschelwagen stolz einher fahrenden Nereustochter fallen lässt. Aber unbeschadet solcher Beleuchtung zeichnet er sie vor allem als nüchtern-klugen Menschen, der danach strebt, die von allerlei Masken und Einbildungen verstellte Lebenswirklichkeit frei zu räumen. Interpreten könnten sich an ihr, und an Reinhart, ein Beispiel nehmen: Auch Texte sind Realitäten, deren Zugang man sich, nach Preisendanz, durchs Hineinlesen einer postulierten Sinnerwartung – Ideen, Bildern, Mythologemen – versperrt.
Jonas Fränkel, der Herausgeber der ersten textkritischen Keller-Edition, stellt fest: „Unter allen Büchern Gottfried Kellers hat keines eine gleich lange Entstehungsgeschichte, keines wurde in gleich kurzer Zeit niedergeschrieben wie Das Sinngedicht.“[100] Die lange „Inkubationszeit“ des Zyklus hat Biographen, Editoren und Interpreten von jeher beschäftigt.
Der Vorabdruck des Zyklus – noch ohne Lucies Geschichte – fand von Januar bis Mai 1881 in fünf Folgeheften der Deutschen Rundschau statt. Keller fertigte das Manuskript zu jeder Folge im Wettlauf mit dem Setzer. Im Begleitbrief zur abschließenden Lieferung schrieb er dem Rundschau-Redakteur Julius Rodenberg: „Sie haben sich einmal nach der Entstehung des Manuskriptes erkundigt. Es ist, mit Ausnahme der Partie des Januarheftes, die erste und einzige Niederschrift, während die Novellen und der Rahmen vor zwei Dezennien schon im Kopf entworfen und seither meine stillen Begleiter auf Spaziergängen und beim Glase Wein gewesen sind. Dennoch wußte ich nicht viel davon, was aus jedem der Geschichtchen werden würde.“[101]
Nach Fränkel zeigt die Manuskriptpartie des Januarhefts – sie umfasst die Anfangskapitel bis zur ersten Hälfte von Regine – „unverkennbare Merkmale einer Abschrift“.[102] Als Vorlage diente offenbar ein in Berlin begonnenes, dann aber liegen gebliebenes Manuskript.[103] Da dieses verschollen ist, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen, wie weit der Autor es beim Abschreiben umgearbeitet hat. Die Entstehungsgeschichte des Sinngedichts liegt daher zu einem guten Teil im Dunkeln.
In den ersten zehn Jahren, die Keller sich mit den Galatea-Novellen trug, beschrieb er das Buch, das ihm vorschwebte, als heiter und elegant – „ein artiger kleiner Dekameron“[76] – und kündigte in zahlreichen Briefen an Verleger und Freunde dessen baldiges Erscheinen an. Doch nur ausnahmsweise verriet er etwas über Erzählstoffe und Gliederung. Von einem frühen Notizbucheintrag abgesehen bezeugen seine Aufzeichnungen kaum etwas über seine Pläne. Stellt man die brieflichen Äußerungen chronologisch zusammen,[104] ergibt sich für die Zeit von 1855 bis 1860 allerdings nicht das Bild eines gemächlichen Ausspinnens „beim Glase Wein“, sondern das eines qualvollen Nicht-vom-Fleck-Kommens, schuldbewussten Vor-sich-her-Schiebens und melancholischen Wartens auf Inspiration.
Fränkel zufolge erstrecken sich die typischen Abschreibefehler in der Rundschau-Druckvorlage „bis ungefähr Seite 80 unseres Textes“,[102] d. h. bis an die Stelle, an der Altenauer Regine fragt, ob sie seine Frau werden möchte. Regines Reaktion („Sie zuckte zusammen, erbleichte und starrte ihn an, wie eine Tote“), ihre Tränen und ihre Flucht deuten auf das kommende Unheil. Das legt die Vermutung nahe, dass die Niederschrift ins Stocken geriet, weil Keller sich über Art und Ausmaß dieses Unheils nicht im Klaren war, vielleicht überhaupt noch davor zurückschreckte, die Geschichte tragisch verlaufen zu lassen.[114] Zwei Umstände, ein literarischer und ein lebensgeschichtlicher, unterstützen diese Vermutung.
Am Anfang einer Reihe von Einfällen, die Keller sich 1851 in Berlin notierte, findet sich dieser:
Diese Notiz hat Karl Reichert als „den Kristallisationskern“ des Sinngedichts bezeichnet.[116] Das Contra galt Berthold Auerbach, dem Autor der damals viel gelesenen und hoch gepriesenen Schwarzwälder Dorfgeschichten. Keller hatte bereits 1849 eine dieser Erzählungen, Die Frau Professorin, in einem Aufsatz anerkennend zitiert und kommentiert. Vom Lob nahm er jedoch eine Figur aus: den „miserabeln Reinhard in der ‚Frau Professorin‘“.[117]
Das Wort vom miserabeln Reinhard zielt nicht nur auf den Charakter, sondern auch auf die klischeehafte Zeichnung der Figur als des genialisch-zerrissenen Künstlers, der sich mit der Wahl zwischen Volksleben und Bildungstreiben, Natur und Kultur quält, – für Keller eine falsche Alternative.[118] Wo Gemeinplätze an die Stelle lebendiger Figuren traten, ließ sich das, worauf es Keller ankam, nicht erreichen, nämlich den wirklichen Abstand zwischen bildungsfernen und gebildeten Schichten darzustellen. So befand er sich künstlerisch in einem Dilemma: Einerseits war er davon überzeugt, dass auch große Bildungsunterschiede zwischen Liebenden überbrückbar seien – er hatte einen konkreten Fall vor Augen. Andererseits widerstrebte der Regine-Stoff seiner ganzen Anlage nach einem platten Happy End.
Die Auseinandersetzung mit Auerbach hat im Sinngedicht von 1881 dreifach Spuren hinterlassen: in der Erzählung Von einer törichten Jungfrau, in Regine, sowie in der Rahmenhandlung selbst. Als Einwände formuliert besagen die drei Geschichten dies:
Um die anhaltende Stockung der Niederschrift zu erklären, hat Reichert die These aufgestellt, Keller habe aus Besorgnis, es mit Auerbach zu verderben, diese Einwände zurückgestellt und zeitweilig erwogen, den Galatea-Rahmen mit den Sieben Legenden zu füllen, einem Stoff, der seinem einflussreichen Freund und Förderer nicht am Zeug flickte.[120] Dagegen spricht die innige Verflechtung der „contra Auerbach“-Erzählungen mit der Rahmenhandlung: Ohne diese aufzulösen und damit das Projekt Variationen zu dem Logau’schen Sinngedicht vollständig über Bord zu werfen, hätte Keller schwerlich auf die Törichte Jungfrau, geschweige denn auf Regine verzichten können.[121]
Einen anderen Grund für die lange Verzögerung der Fortsetzung von Regine nennt Jakob Baechtold, Kellers langjähriger Freund und Nachlassherausgeber. In seiner Keller-Biographie (1894–1897) berichtet Baechtold erstmals den konkreten Fall, der zu Kellers Überzeugung von einer möglichen glücklichen Verbindung zwischen gebildetem Mann und „Mädchen aus dem Volke“ beitrug:
Der Anatom und Physiologe Jakob Henle hatte während seines Aufenthalts in Zürich (1840–1844) die Näherin Elise Egloff kennengelernt. „Sie verliebten sich ineinander, und Henle führte seine Lisette nach vielen Seelenkämpfen und Wirrnissen, und nachdem er sie in einer rheinischen Pension etwas hatte ausbilden lassen, zu Ostern 1846 als sein Weib heim. Berthold Auerbach machte daraus seine ‚Frau Professorin‘, worüber Henle wenig erbaut war.[122] Elise starb schon 1848. Es ist mir unzweifelhaft, dass Gottfried Keller […] bei der rührend schönen Gestalt der Regine Henles romantische Ehestandgeschichte im Auge hatte, aber mit zarter Zurückhaltung den Stoff auf Jahrzehnte hinaus beiseite legte.“[123]
Keller war den Frischvermählten 1846 im alten Zürcher Freundeskreis Henles kurz begegnet. Als er zwei Jahre später Henle in Heidelberg besuchte, war Elise bereits an Lungentuberkulose gestorben. Keller hörte Henles anthropologische Vorlesung und hat den geschätzten Lehrer im Grünen Heinrich porträtiert.[124] Sein Verhältnis zu ihm war indessen viel weniger eng als das zwischen Altenauer und dem Erzähler von Regine,[125] doch nahm der Dichter an Elises Schicksal offenbar ähnlich warmen Anteil wie seine Figur Reinhart an dem Regines.[126] Die erste, glückliche Hälfte der Regine-Novelle zeigt, stark verhüllt, die Umrisse der Liebschaft von Henle und Egloff, soweit sie Keller bekannt sein konnten. Die zweite, unglückliche Hälfte ist von ihm dagegen frei erfunden. Diese Erfindung – sie lief auf die Konstruktion eines bürgerlichen Trauerspiels in Novellenform hinaus – fiel ihm schwer. Was genau seine Erfindungskraft hemmte, lässt sich mangels klarer Selbstzeugnisse nicht entscheiden. Dies gilt auch für Baechtolds Vermutung, Kellers Zartgefühl gegenüber dem von Auerbachs Indiskretion gekränkten Henle sei der Grund gewesen.
„Am Abend liest mir Emilie den Anfang von G. Kellers neuster Novelle ‚Das Sinngedicht‘ vor. Originell, sorglich, im einzelnen auch schön und bedeutend, aber doch sonderbar komponiert (romantisch willkürlich) und mitunter gezwungen und unfein, so z. B. die Geschichte, die das schöne Fräulein von der ‚Waldhorns‘-Tochter erzählt. Es ist nicht humoristisch genug und wirkt im Munde einer jungen und klugen Dame beinahe häßlich.“
„Emilie liest mir den Schluss der G. Kellerschen Novellen (Gesamttitel: Das Sinngedicht) vor. Es ist sehr schwer, über diese Novellen zu sprechen. Ist es eine höchste oder doch feinste Aufgabe, einem in kluger, einzigartiger und beständig durch geistreiche Sentenzen und Einzel-Schönheiten gewürzten, nie ins Triviale fallenden Weise etwas vorzuplaudern, so daß einem schließlich doch im Ganzen ein Wohlgefühl und im Einzelnen ein Gedanke, ein Bild in der Seele bleibt, – ist dies höchste Aufgabe, so kann man diese Dinge nicht hoch genug stellen. Es ist in der Tat etwas Superiores drin, das gerade was der Alltagsmensch nicht kann, nicht einmal zu können wagt. Ich bin mir aber doch nicht sicher, ob das Vorgeschilderte die Aufgaben sind, die man sich stellen soll. Eine exakte, natürlich in ihrer Art auch den Meister verratende Schilderung des wirklichen Lebens, das Auftretenlassen wirklicher Menschen und ihrer Schicksale, scheint mir doch das Höhere zu sein. Ein echtes, ganzes Kunstwerk kann ohne Wahrheit nicht bestehen, und das Willkürliche, das Launenhafte, so reizvoll, so geistreich, so überlegen es auftreten mag, tritt doch dahinter zurück. Ich weiß wohl, daß auch das Maß der Kunst in diesen Kellerschen Sachen, sehr groß ist und daß der sich sehr irren würde, der etwa glaubte, ihm diese Launen und Einfälle bequem nachmachen zu können, im Gegenteil, all dies ist wenigen gegeben und ist auch für diese gerade noch schwer genug. Es ist aber doch die Schwierigkeit der Künstelei. Und vor dieser hat man sich in der Kunst zu hüten.“
„Jetzt da die Linien des ‚Sinngedichtes‘ sich zu schließen beginnen, darf ich Ihnen berichten, wie sehr ich mich daran ergötze? Derart, daß, wo sich ein Bedenken meldet, dasselbe ohne weiters von diesem langsamen und gewaltigen Erzählen und Entwickeln überwältigt und erdrückt wird.
Obenan ‚Regine‘, darüber ist kein Wort zu verlieren. Die Gespenstergeschichte gibt zu lachen und zu denken. Der Gerichtsact des Vorüberschleppens in der ‚Baronin‘ wird durch das Barocke gemildert. Und schließlich Don Salvador mit seinem astrologischen Mantel und sonstigen Eigenschaften, der ‚einen Stuhl‘ heiratet, wenn ich recht berichtet bin! Der Rahmen reich und schwer. Unwahrscheinlichkeiten im Detail (– die man übrigens – so oder so – jedem Poeten, auch dem größten, vor- oder zugeben muß und es so gerne thut, wenn man – wie bei Ihnen – durch ein so intenses Vergnügen entschädigt wird) – Unwahrscheinlichkeiten im Detail werden durch das Substantielle des Ganzen quasi aufgehoben. Kaum sagt ein ‚gebildetes‘ Mädchen: ‚Den Teufel hoffst du!‘, aber wer möchte das entbehren?“
„Mittlerweile erhielt ich eine Karte von Petersen aus Zürich, und darin, daß Sie seit Ihrer letzten Begegnung um 5 Jahre jünger geworden seien. Sollte mich auch wundern, wenn’s nicht so wäre. Dieser rosig frische Cyklus der neuen Novellen, wer das schreibt, der muß zu der Quantität Jugend, die ihm dazu eigen sein muß, dadurch noch ein gut Theil hinzugewinnen. Sie sollen dafür hoch gepriesen und bedankt sein. Damit Sie nun sehen, wie sehr mir das von Herzen kommt, so sollen Sie auch Ihre richtig vorgeahnten, und daher wohl gerechten Schelte bekommen, und zwar ohne alle Umschweife. Wie zum Teufel, Meister Gottfried, kann ein so zart und schön empfindender Poet uns eine solche Rohheit – ja, halten Sie nur hübsch still! – als etwas Ergötzliches ausmalen, daß ein Mann seiner Geliebten ihren früheren Ehemann nebst Brüdern zur Erhöhung ihrer Festfreude in so scheußlicher, possenhafter Herabgekommenheit vorführt! Hier stehe ich nicht mit dem Hut in der Hand und sage: ‚Wartet, der Dichter will erst seinen Spaß machen!‘ Nein, liebster Freund, das haben Sie nicht wohl bedacht, das muß vor der Buchausgabe heraus.“
„Die Scene vor der Schusterstube, wie da mitten aus dem verrückten Singsang und der ganzen herrlichen Armseligkeit der Situation ihre lang herangeglommene Verliebtheit plötzlich in einer hellen Flamme aufschlägt und sie ohne viel Wesens zu machen sich küssen, das ist so einzig schön, so, wie nur Du es machen kannst, daß ich auch jetzt wieder, da ich es nun zum zweiten Male las, vor lauter Vergnügen die Augen übergehen fühlte. Hierbei traf mich Levi, der das Sinngedicht noch nicht kannte. Er nahm die losen Bogen, schlug sie aufs Gerathewohl auf und gerieth an eine ganz ausbündige Stelle, die er laut zu lesen anfing. Dann sprachen wir noch Verschiedenes, was ich Deiner Bescheidenheit ersparen will. Auch ist es gut, daß Du nicht zugegen bist, wenn ich als Reiseprediger den Heiden das Evangelium verkündige, wobei ich in letzter Zeit die Erfahrung gemacht habe, daß ich Alles schon bekehrt finde und nicht einmal nöthig habe, die Schwachen im Glauben zu stärken. Daß mich dies doch noch verwundert, darfst Du mir nicht übel nehmen. Die Welt, in der Deine Gestalten athmen, ist so gar nicht ir aller werld, ein Märchenduft, wie er aus der schäbigen ‚Jetztzeit‘ ganz und gar geschwunden ist, umgiebt Deine handfestesten Figuren, und jener Goldton schimmert durch ihr Fleisch, der den Giorgione so unwiderstehlich macht, daß ich mich frage, wie dieselben Biederleute, die sich an Gartenlauben-Histörchen erquicken, zu Deinen ewigen Gedichten einen Herzenszug spüren können. Und doch ist dem so, woraus wieder einmal erhellt, daß man die Menschennatur in Grund und Boden verbilden kann, und doch den himmlischen Funken nicht ganz ersticken, der nur wartet, bis er von dem rechten Munde angeblasen wird, um fröhlich wieder aufzuflackern.“
„Im letzten Frühling bat ich meine alte Mutter, mir Ihr Sinngedicht vorzulesen, – und wir beide haben Sie dafür aus vollem Herzen gesegnet (auch aus vollem Halse: denn wir haben viel gelacht): so rein, frisch und körnig schmeckte uns dieser Honig.“
„Jeder Satz ist mit sicherer Hand geformt. Alles hat innere Notwendigkeit, ist reich und erschöpfend gestaltet. Neben solcher Kunst erscheint fast alles Gleichzeitige auf dem Feld der deutschen Erzählung wie zufällig.“
„So ist hier die alte Rahmenform der Novelle aus dem ‚Dekameron‘ in einer Weise erneuert, die an künstlerischer Freiheit und Strenge sogar das klassische Vorbild übertrifft. Freilich, wenn wir die Frage vom Standpunkt des Kellerschen Entwicklungsganges betrachten, so sehen wir eine weitere Subjektivierung des gesellschaftlichen Rahmens, ein weiteres Sich-Zurückziehen Kellers von der unmittelbaren Gesellschaftlichkeit und Öffentlichkeit seiner Stoffwahl in die Problematik des individuellen Lebens, wobei selbstverständlich bei ihm der gesellschaftliche Hintergrund auch der individuellen Probleme lebendig erhalten bleibt; die feinste individuelle Abstufung der Liebeserlebnisse, Stufen der entstehenden Liebe zwischen zwei Menschen, verdunkelt nie den sichtbaren Hintergrund, daß Liebe und Ehe große öffentliche Angelegenheiten eines demokratischen Gemeinwesens sind.“
„Nicht eine dialektische Verklammerung, sondern nur eine thematische Parallele läßt sich […] zwischen Rahmen und Binnengeschichten ausfindig machen. Darauf verweisen Reinharts und Lucies spöttische oder streitbaren Kommentare zu den Erzählungen, aber auch die Erzählungen selber: In die Breite zerfließend, Motive der Trivialromantik und starre menschliche Verhaltensmuster unkritisch, ohne die typische Kellersche Formkraft der humoristischen Brechung variierend, reihen sie sich additiv nebeneinander, ohne in ein Spannungverhältnis zueinander oder zum Rahmengeschehen zu treten, das immer wieder zum Hintergrund zu verblassen droht, nicht aber aus den Erzählungen sich zwingend entfaltet. Diese erzählerische Problematik ergab sich aus Kellers Versuch, seine Novellen der zeitgeschichtlichen Wirklichkeit zu entrücken.“
„Anders als die Rahmenhandlung lassen die eingestreuten Novellen vieles im Verborgenen. Sie fordern den ‚parabelmäßigen‘ Anteil der ‚Reichsunmittelbarkeit der Poesie‘ ein. Offen – verborgen; parabelhaft – fabelhaft; ‚moralisch‘-didaktisch – anschaulich-plastisch; diese strukturelle Ambivalenz antwortet in Kellers Sinngedicht auf die Herausforderung, zwei große europäische Traditionen des Erzählens zur Überwindung eines platten ‚Realismus‘ zu nutzen. Dadurch kommt Keller jenen Anforderungen nahe, die Goethe an das Lehrgedicht stellte. In seinem berühmten Aufsatz zu diesem Thema finden sich folgende Ansprüche: ‚Alle Poesie soll belehrend sein, aber unmerklich; sie soll den Menschen aufmerksam machen, wovon sich zu belehren werth wäre; er muß die Lehren daraus ziehen wie aus dem Leben.‘ Wie aber soll der Schriftsteller belehren, ohne dass diese Belehrung bemerkbar wäre, wie soll er aufmerksam machen, ohne daß dies unangenehm deutlich würde? Dieser Widerspruch wird in Kellers Sinngedicht, einem Lehrgedicht ohnegleichen in der deutschen Literatur, kunstvoll thematisiert und gelöst.“
„Wer ein Auge auf eine heiße Politesse geworfen hat, der kann sich Gottfried Kellers Sinngedicht zum Vorbild nehmen. Darin soll Reinhart, als er eine Brücke überqueren will, Brückenzoll zahlen, und zwar der hübschen Tochter des Zöllners. ‚Wahrhaftig, mein Kind!‘ sagt Reinhart, ‚Ihr seid die schönste Zöllnerin, die ich je gesehen habe und ich gebe Euch den Zoll nicht, bis Ihr ein wenig mit mir geplaudert habt.‘ Und das tut die Gute dann auch – kein Wunder, schließlich handelt es sich um ein äußerst charmantes Kompliment, das auch heute noch zieht: ‚Ihr seid die schönste Politesse …‘ Selbst wenn die Dame keine Zeit zum ausgiebigen Plausch hat, geschmeichelt wird sie sich in jedem Fall fühlen!“
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