Das Ohr (lateinisch Auris) ist Teil des Sinnesorgans, mit dem Schall, also Töne, Laute, Klänge oder Geräusche aufgenommen werden. Zum Innenohr gehört auch das Gleichgewichtsorgan. Die Ohrgegend wird als Regio auricularis bezeichnet und umfasst Ohrmuschel und Ohrbasis. Sie ist Teil der Kopfregionen (Regiones cranii).

Zum Hörsystem (auch Gehör) bzw. Hörorgan (auch Gehörorgan), das die auditive Wahrnehmung ermöglicht, gehören außer Außen-, Mittel- und Innenohr auch der Hörnerv und die Umschalt- und Verarbeitungsstationen im zentralen Nervensystem, bei Säugetieren also einige Areale im Hirnstamm und Zwischenhirn, bis hinauf zur auditiven Hirnrinde.

Menschliche Ohrmuschel

Etymologie

Das gemeingermanische Wort mittelhochdeutsch ōr(e), althochdeutsch ōra[1] beruht auf idg. *ōus- „Ohr“ (lateinisch auris; altgriechisch οὖς us, Genitiv ὠτός otós).[2]

Ohren im Allgemeinen

Der Hörsinn ist gegen den Vibrationssinn abzugrenzen. Letzterer nimmt Substratschall auf, etwa wenn der Untergrund vibriert. Hören, d. h. die Wahrnehmung rhythmischer Druckwellen in Luft oder Wasser, ist in der Evolution nur bei relativ wenigen Tiergruppen entstanden. Fast alle Landwirbeltiere (Tetrapoden), viele Fische und etliche Insektenarten können demnach hören, ebenso einige Kopffüßer.[3] Die meisten Wirbellosen leben jedoch in einer stummen Welt. Bei den Wirbeltieren hat die Natur das Hören wahrscheinlich 2- bis 3-mal unabhängig voneinander erfunden.[4] Die ersten Hörorgane entstanden im Devon vor etwa 380 Millionen Jahren.[5] Ein wesentlicher Schritt zum Erwerb eines guten Hörvermögens war danach die Entwicklung eines Mittel- und Innenohrs, inklusive eines Trommelfelles. Bei den Insekten entstand das Hörvermögen sogar mindestens 20-mal unabhängig voneinander.[4]

Aufbau und Platzierung der Hörorgane sind bei den verschiedenen Arten sehr unterschiedlich. Bei Heuschrecken sitzen die Ohren am Hinterleib oder den Beinen, bei Zikaden an den Beinen und bei Mücken und Fliegen an den Fühlern. Einige Eidechsen- und Salamanderarten hören mit Brustkorb und Lunge. Äußere Ohren sind bei den meisten Säugetierarten und Vogelarten vorhanden, Ausnahmen finden sich bei einigen Delfinarten. Reptilien, Amphibien und Fische haben keine äußeren Ohren. Bei Reptilien und Amphibien sitzt dadurch das Trommelfell direkt an der Außenseite des Kopfes.

Der Hörbereich des menschlichen Ohrs reicht in jungen Jahren von etwa 16 Hertz bis maximal 20.000 Hertz. Unter anderem können Elefanten noch tiefere Frequenzen wahrnehmen, den Infraschall, während eine Reihe von Tieren, zum Beispiel Mäuse, Hunde, Delfine und Fledermäuse, noch wesentlich höhere Frequenzen, den Ultraschall, hören können.

Eine Aufgabe des Hörens ist die Orientierung im Raum, also Schallquellen zu lokalisieren, das heißt, deren Richtung und Entfernung zu bestimmen. Seitlich einfallender Schall erreicht das zugewandte Ohr eher als das abgewandte und ist dort lauter, da das abgewandte Ohr durch den Kopf abgeschattet wird. Diese Laufzeitdifferenzen und Pegeldifferenzen zwischen beiden Ohren werden vom Gehirn ausgewertet und zur Richtungsbestimmung genutzt. Darüber hinaus erzeugt die Ohrmuschel je nach Richtung spezifische Veränderungen des Frequenzgangs, die ebenfalls ausgewertet und zur Richtungsbestimmung benutzt werden.

Viele Lebewesen, auch der Mensch, können vorhandene Schallquellen lokalisieren, die Orientierung im Raum erfolgt aber vor allem mit Hilfe des Gleichgewichtssinns und des Gesichtssinns. Delfine und Fledermäuse haben in der Evolution den Gehörsinn zu einem besonders hochstehenden Orientierungssystem entwickelt. Beide stoßen hochfrequente Signale im Ultraschallbereich aus (bis 200 kHz) und orientieren sich anhand des Echos. Dieses aktive Verfahren zur Orientierung nennt man Ortung. Bei den Fledermäusen hat das Gehör die Augen weitgehend ersetzt, die in der Dunkelheit von keinem großen Nutzen sind.

Das Ohr des Menschen

Äußeres Ohr, Mittelohr und Innenohr mit Hörschnecke, Sacculus, Utriculus und Bogengängen (Das Trommelfell gehört zum Mittelohr).

Aufbau

Der anatomische Aufbau und die genaue Funktion des Ohres waren im Mittelalter noch weitgehend unbekannt. Neuzeitliche Erkenntnisse darüber gewannen unter anderem Antonio Maria Valsalva[6] sowie Andreas Vesalius, Bartolomaeus Eustachius, Gabriel Falloppius und Johannes Philippus Ingrassia (1510–1580).[7] Beim Menschen und anderen Säugetieren wird das Ohr in drei Bereiche eingeteilt:

Gehör

Die Wahrnehmung von akustischen Signalen wird wesentlich davon mitbestimmt, wie Schallschwingungen auf ihrem Weg vom Außenohr über das Mittelohr hin zu den Nervenzellen des Innenohrs jeweils umgeformt und verarbeitet werden. Das menschliche Gehör kann akustische Ereignisse nur innerhalb eines bestimmten Frequenz- und Schalldruckpegelbereichs wahrnehmen. Zwischen der Hörschwelle und der Schmerzschwelle liegt die Hörfläche.

Der leiseste wahrnehmbare Schalldruck bei normalhörenden Menschen ist bei einem Ton von 2.000 Hz etwa 20 Mikro-Pascal (20 µPa = 2·10−5 Pa), das entspricht Lp = 0 dBSPL Schalldruckpegel. Diese Schalldruckveränderungen Δ p werden über das Trommelfell und die Mittelohrknöchelchen ins Innenohr übertragen, und im Ohr-Gehirnsystem entsteht dann der Höreindruck. Weil das Trommelfell als Sensor mit dem Ohrsystem die Eigenschaften eines Schalldruckempfängers hat, beschreibt der Schalldruckpegel als Schallfeldgröße die Stärke des Höreindrucks am besten. Die Schallintensität J in W/m² ist als Schallenergiegröße hingegen nicht geeignet, den Höreindruck zu beschreiben; aufgrund der komplexen Impedanz des Außen- und Mittelohres bei gleichem Schalldruckpegel. Gleiches gilt sinngemäß für die Schallschnelle.

Das menschliche Gehör vermag bereits eine äußerst geringe Schallleistung aufzunehmen. Der leiseste wahrnehmbare Schall erzeugt eine Leistung von weniger als 10−17 W im Innenohr. Innerhalb einer zehntel Sekunde, die das Ohr braucht, um dieses Signal in Nervenimpulse umzusetzen, wird durch eine Energie von etwa 10−18 Joule schon ein Sinneseindruck erzeugt. Daran wird deutlich, wie empfindlich dieses Sinnesorgan eigentlich ist.

Die Schmerzgrenze liegt bei über 130 dBSPL, das ist mehr als der dreimillionenfache Schalldruck des kleinsten hörbaren (63,246:0,00002 = 3.162.300). Vor allem das Innenohr und hier die Haarzellen und deren Stereozilien, nehmen bei hohem Schalldruck Schaden.

Beim Richtungshören und bei der Kopfhörer-Stereofonie spielen Laufzeitunterschiede und Pegelunterschiede zwischen beiden Ohren und somit auch der individuelle Ohrabstand eine gewisse Rolle, sowie spektrale Eigenschaften der Ohrsignale.

Die Techniken zur Untersuchung der Hörfähigkeit werden unter dem Begriff Audiometrie zusammengefasst. Ein Ergebnis eines Hörtests, der das Hörvermögen bei verschiedenen Frequenzen untersucht, nennt sich Audiogramm. Aus diesem lässt sich meistens die Hörschwelle ablesen.

Außerhalb des eigentlichen Ohres liegen jedoch die Nervenbahnen, die zum Hörzentrum des Hirns führen, sowie das Hörzentrum selbst. Sind diese beeinträchtigt, so kann auch bei einem funktionsfähigen Ohr die Schallwahrnehmung beeinträchtigt sein.

Der Weg des Schalls: Ohrmuschel → Gehörgang → Trommelfell → Gehörknöchelchen → Hörschnecke → Hörnerv

Krankheiten

Untersuchung des Ohres mit einem Otoskop

Das menschliche Ohr kann auf verschiedenartige Weisen erkranken, die jeweils für den betroffenen Teil des Ohres spezifisch sind.

Die Ursachen des sogenannten Hörsturzes, bei dem ein plötzlicher Hörverlust, Tinnitus und Schwindel auftreten können, sind unbekannt. Ähnliche Symptome können auch infolge einer Bogengangsdehiszenz (ein Knochendefekt im Innenohr) auftreten.

Zur Diagnostik von Erkrankungen des Ohres, dessen pathologische Anatomie Joseph Toynbee um 1845 wissenschaftlich[8] darstellte, stehen, insbesondere der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, neben den allgemein üblichen Methoden der Medizin wie Röntgenuntersuchungen, serologischen und visuellen Untersuchungen auch Hörtests zur Verfügung.

Ohrabdruck

Der Abdruck der Ohren kann zur Identifizierung einer Person dienen. Dabei hat der Ohrabdruck einen ähnlich hohen Beweiswert wie ein Fingerabdruck. Die Kriminalistik kann auf Basis der hinterlassenen Ohrabdrücke, z. B. beim Lauschen an Fenstern oder Haustüren, durchaus Straftäter überführen. Vorteil gegenüber dem Fingerabdruck ist, dass ein Ohrabdruck meist nicht zufällig entsteht. Fingerabdrücke sind meist von vielen Personen am Tatort zu finden.[9]

Das menschliche Außenohr wächst nach der Adoleszenz langsam weiter, mit durchschnittlich etwa 0,2 mm pro Jahr.[10]

Literatur

Dokumentation

Einzelnachweise

  1. Friedrich Kluge, Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 20. Auflage. hrsg. von Walther Mitzka. De Gruyter, Berlin / New York 1967; Neudruck („21. unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 521.
  2. Das Herkunftswörterbuch (= Der Duden in zwölf Bänden. Band 7). Nachdruck der 2. Auflage. Dudenverlag, Mannheim 1997, S. 497! (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). Siehe auch Ohr. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Abgerufen am 23. September 2019 Außerdem Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 7. Auflage. Trübner, Straßburg 1910, S. 336 (digitale-sammlungen.de).
  3. T. Aran Mooney et al.: Potential for Sound Sensitivity in Cephalopods. In: Arthur Popper, Anthony Hawkins (Hrsg.): The Effects of Noise on Aquatic Life. Springer 2012, ISBN 978-1-4419-7310-8. S. 125–128 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  4. a b Evolution des Hörens – Wie die Natur die Ohren immer wieder neu erfindet. In: ARD Mediathek. 11. Januar 2012, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 13. Januar 2015; abgerufen am 23. Juli 2014.
  5. G. A. Manley, C. Köppl: Phylogenetic development of the cochlea and its innervation. In: Current Opinion in Neurobiology. 8. Jahrgang, 1998, S. 468–474, PMID 9751658 (englisch).
  6. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 28.
  7. Christian von Deuster: Ohr. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1066.
  8. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 40.
  9. Einbrecher mittels Ohrabdrücken überführt. Spiegel Online; abgerufen am 30. April 2012.
  10. Fabrizio Schonauer, Stefano De Luca, Sergio Razzano und Guido Molea: Do the ears grow with age? European Archives of Oto-Rhino-Laryngology 269, 2012, doi:10.1007/s00405-012-1957-z.