Anwendung körperlicher Gewalt gegen Personen: Verbringen einer Person aus einem Kfz unter Anwendung von unmittelbarem Zwang (Übungseinheit im Rahmen des polizeilichen Einsatzverhaltens)

Unmittelbarer Zwang (UZ) ist ein Rechtsbegriff, der die hoheitliche Einwirkung auf Personen oder Sachen mittels körperlicher Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffen durch zuständige und befugte Amtsträger umfasst[1] und wesentlicher Bestandteil und Ausdruck der Staatsgewalt ist.

Es gilt prinzipiell und grundlegend das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das heißt, dass auch die Polizei Gewalt generell nur ausnahmsweise anwenden darf und nur dann, wenn sie eine polizeiliche Maßnahme auf andere Weise nicht durchsetzen kann.

Definitionen

Unmittelbarer Zwang ist ein Zwangsmittel ohne aufschiebende Wirkung. Bei der Anwendung ist unter anderem zwingend das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren.

Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung eines Amtsträgers auf Personen oder Sachen mit und ohne Hilfsmittel oder Waffen.

Einfache körperliche Gewalt bezeichnet dabei jede körperliche Gewalt ohne Hilfsmittel und ohne Waffen.[2][3]

Die Einwirkung auf Hals und Wirbelsäule ist verboten. Das lernen Polizisten im Einsatztraining. Die Gefahr von Wirbelverletzungen ist zu groß. Auch entsteht rasch ein Erstickungsrisiko. Die sogenannte Bauchlagenfesselung ist durch ministerielle Anordnungen untersagt. Dadurch, dass sich dabei ein Beamter auf den Rücken eines Gefesselten kniet, entsteht das Problem, dass dabei die Lunge gestaucht wird. Auch das „Nachtreten“ darf nicht passieren und ist als Körperverletzung im Amt strafbar.[4]

Person in Handfesseln

Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln, Dienstfahrzeuge, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde und Dienstpferde.

Waffen sind dienstlich zugelassene Schlagstöcke (in vielen Gesetzen fälschlicherweise als Hiebwaffe bezeichnet) und Schusswaffen, Reizstoffe und Explosivmittel. Handgranaten sind bei der Bundespolizei[5], in Hessen[6] und in Bayern[7] rechtlich als Waffe möglich.

Dienstlich zugelassene Schusswaffen sind in der Regel mindestens Pistolen, Gewehre und Maschinenpistolen, in einigen Bundesländern ferner Revolver und Maschinengewehre (Bayern, Bundespolizei). Reizstoffe sind in einigen Bundesländern und beim Bund Waffen, in anderen Ländern (Bayern, Niedersachsen, Berlin) Hilfsmittel.
Sprengmittel sind in der Regel nicht als Waffen, sondern als Hilfsmittel eingestuft. Sprengmittel dienen zum Beispiel zum Öffnen von Türen; Handgranaten und andere explosive Gegenstände sind dagegen Waffen.
Elektroimpulswaffen bzw. Elektroschockpistolen (sogenannte Taser) werden derzeit nur in Bayern verwendet und dort als Waffe eingestuft, in Niedersachsen und Berlin werden Taser testweise verwendet und sind ebenfalls als Waffe eingestuft. In Hamburg sind Taser als Waffe eingestuft.

Der Grund für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs kann strafverfolgendes (repressives) oder gefahrenabwehrendes (präventives) – jeweils hoheitliches – Handeln sein. Unmittelbarer Zwang ist regelmäßig eine Maßnahme zur Durchsetzung einer formfreien Maßnahme, folglich eine Folgemaßnahme. Unmittelbarer Zwang stellt einen Eingriff in die Grundrechte Körperliche Unversehrtheit und gegebenenfalls in die Freiheit der Person oder in das Recht auf Eigentum dar.

Unmittelbarer Zwang muss vorher rechtswirksam angedroht werden, sofern es die Umstände zulassen. Dies kann durch Ansprache oder eindeutige Gestik (bei Verständigungsschwierigkeiten) oder durch Abgabe eines Warnschusses erfolgen (Letzteres nur bei Schusswaffengebrauch).

Unmittelbarer Zwang durch Dienstkräfte des Bundes ist im Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes geregelt. Die Anwendung des unmittelbaren Zwanges außerhalb des Territorium oder der Zuständigkeiten des Bundes richtet sich dabei nach den Vorschriften des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang des Bundeslandes, in dem der unmittelbare Zwang angewandt werden soll. Die Eingriffsermächtigung für die Anwendung unmittelbaren Zwangs ergibt sich grundsätzlich nicht aus dem jeweiligen Zwangsgesetz, sondern aus insbesondere der StPO bzw. den Gefahrenabwehrrecht (Polizeigesetze) in Verbindung mit dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz.

Zur Ausübung befugte Amtsträger (Vollzugsbeamte) in Deutschland

Bund

Vollzugsbeamte des Bundes

Rechtsgrundlage: Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG)

Angehörige der Streitkräfte

Rechtsgrundlage: Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen

Bundes- und Landesbedienstete

Rechtsgrundlage: Strafvollzugsgesetz

Baden-Württemberg

Rechtsgrundlage: Polizeigesetz

Rechtsgrundlage: Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz)

Rechtsgrundlage: Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz

Rechtsgrundlage: Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg

Rechtsgrundlage: Gesetz über die Befugnisse des Justizwachtmeisterdienstes

Bayern

Rechtsgrundlage: Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (PAG)

Rechtsgrundlage: Waldgesetz für Bayern (BayWaldG)

Rechtsgrundlage: Bayerisches Feuerwehrgesetz (Art. 24 BayFwG)

Berlin

Rechtsgrundlage: Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin (UZwG Bln)

Bremen

Rechtsgrundlage: Bremisches Polizeigesetz (BremPolG), Bremisches Strafvollzugsgesetz (BremStVollzG)

Hamburg

Rechtsgrundlage: Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG; veröffentlicht im HmbGVBl. 1966, S. 77)

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung (Hamburgisches Strafvollzugsgesetz, HmbStVollzG; HmbGVBl. 2007, S. 471)

Hessen

Rechtsgrundlage: Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG)

Mecklenburg-Vorpommern

Rechtsgrundlage: Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern[8]

Zum Schusswaffengebrauch sind gemäß § 107 SOG M-V ausschließlich befugt:

Niedersachsen

Rechtsgrundlage: Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG)

Nordrhein-Westfalen

Rechtsgrundlage: Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen (PolG NRW)

Rechtsgrundlage: Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz

Rheinland-Pfalz

Rechtsgrundlagen: § 65 Abs. 4 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz und § 57 Abs. 3 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (RPf POG) in Verbindung mit § 205 Landesbeamtengesetz

Rechtsgrundlagen: § 65 Abs. 4 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz und § 25 des LBKG (Landesgesetz über den Brandschutz, die allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz)

Saarland

Rechtsgrundlage: Saarländisches Polizeigesetz (SPolG)

Sachsen

Rechtsgrundlage: Sächsisches Polizeivollzugsdienstgesetz (SächsPVDG)

Rechtsgrundlage: Sächsisches Sicherheitswachtgesetz (SächsSWG)

Sachsen-Anhalt

Rechtsgrundlage: Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt[10]

Schleswig-Holstein

Rechtsgrundlage: Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (LVwG)

Der Schusswaffengebrauch steht nur besonders ermächtigten Beamten zu. Ermächtigt sind (§ 256 LVwG)

Thüringen

Rechtsgrundlage: §§ 51 ff Thür. Polizeiaufgabengesetz

Ihnen können die Zwangsbefugnisse nach den §§ 50 bis 53 des Thüringer Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – unter Ausschluss des Waffengebrauchs – erteilt werden.

Polizeigewalt

Die Polizeigewalt ist einer der wichtigsten Teile der Staatsgewalt. In der modernen Polizei materialisiert sich die Staatsgewalt, weil die Staatsgewalt allein das Recht unmittelbarer physischer Gewaltanwendung gegenüber Herrschaftsunterworfenen besitzt.[11]

Rechtsschutz

Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes muss gegen jede Form staatlichen Handelns effektiver Rechtsschutz gewährt werden (vgl. Art. 19 IV GG). Das Preußische Oberverwaltungsgericht nahm noch an, in der Ausübung unmittelbaren Zwangs liege eine konkludente Duldungsverfügung (d. h. ein Verwaltungsakt) gegenüber dem Bürger. Unmittelbarer Zwang konnte demnach mit den Rechtsmitteln angegriffen werden, die gegen Verwaltungsakte statthaft sind. Für diese Konstruktion, die auf dem Umstand beruhte, dass das preußische Verwaltungsprozessrecht lediglich Rechtsschutz gegen Verfügungen gewährte, besteht nach heute herrschender Meinung indes keine Notwendigkeit mehr.[12] Hiernach ist für Klagen, die sich lediglich gegen die Vollstreckung richten, die allgemeine Feststellungsklage die richtige Klageart.[13]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Definition unmittelbarer Zwang
  2. lawblog
  3. Neusprech des Tages: Einfache körperliche Gewalt vom 13. September 2009 um 17:50 Uhr von Markus Beckedahl
  4. Zu allem Vorstehendem: Markus Thiel und Tobias Singelnstein im gemeinsamen Interview mit Ronen Steinke in der SZ vom 19. August 2020
  5. § 14 UZwG – Explosivmittel: „Die Vorschriften der §§ 9 bis 13 gelten entsprechend für den Gebrauch von Explosivmitteln.“
  6. § 55 HSOG (seit 1951, vgl. Die Geschichte der hessischen Polizei)
  7. Art. 69 Abs. 1 PAG
  8. SOG M-V
  9. VollzbLVO M-V
  10. Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 2014. In: Landesrecht Sachsen-Anhalt. Ministerium für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt, abgerufen am 27. Oktober 2021.
  11. So Ralph Jessen, Polizei im Industrierevier: Modernisierung und Herrschaftspraxis im westfälischen Ruhrgebiet 1848–1914 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. Band 91). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1991, S. 23.
  12. Meyer: Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang im Verwaltungsrecht - Rechtsnatur und prozessuale Konsequenzen der Einordnung. In: Bonner Rechtsjournal. 2016, S. 47–50.
  13. Deusch/Burr: § 18 Rn. 13. In: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.): Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz. 36. Auflage. 2017.