Waltraud Falk, auch Waltraud Robbe (* 12. Februar 1930 in Berlin als Waltraud Tessen; † 10. April 2015) war eine deutsche Wirtschaftshistorikerin, Wirtschaftswissenschaftlerin und Hochschullehrerin.

Biografie

Waltraud Falk wurde als Tochter des SPD-Funktionärs Karl Tessen und dessen Ehefrau Erna, geb. Meffert, in Berlin geboren. Karl Tessen war bis zum Verbot der Organisationen im Jahr 1933 politisch in der SPD und im Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) aktiv. Während der NS-Zeit beteiligte er sich am Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Seit 1945 war er in der SBZ und in der DDR in leitenden Funktionen der SED und des Staates tätig.

Waltraud Falk trat 1946 in die FDJ und in die SED ein. Nach dem Abitur im Jahr 1948 an der Gabriele-von-Bülow-Oberschule im damaligen West-Berliner Bezirk Tegel nahm sie im Sowjetischen Sektor, an der Humboldt-Universität Berlin, zunächst das Studium der Medizin auf, brach es ab und arbeitete eine Zeit lang als Grundschullehrerin. Sie wechselte dann zu Slawistik und Geschichte und schließlich zu den Wirtschaftswissenschaften.

Als Falk 1948 an die Humboldt-Universität kam, war die FDJ dort noch bis 1949 nicht zugelassen.[1] Sie hatte während des Studiums maßgeblichen Anteil an der Gründung und dem Aufbau der FDJ-Organisation der Humboldt-Universität, wurde 1950 Erste Sekretärin der FDJ Hochschulgruppe.[2] Sie war Vorsitzende der Hochschulgruppe für Deutsch-Sowjetische Freundschaft.[3] Falk gehörte zu den aufrührerischen Studenten, die mit Aktionen, wie Störungen der Lehrtätigkeit durch provokante Plakate, gegen die auf kapitalistische Marktökonomie bezogene Betriebswirtschaftslehre aufbegehrten, die im Lehrbetrieb der Nachkriegszeit noch bestimmend war. Den entscheidenden Anstoß gab die Auseinandersetzung über Sinn und Gestaltung der Betriebswirtschaftslehre innerhalb der neuen ostdeutschen Wirtschaftsorganisation. Die besonders engagierten SED- und FDJ-Hochschulgruppen waren zu der Zeit keineswegs eine dominante Bewegung unter den Studenten. Diese Aktionen erhielten die Unterstützung des deutsch-englischen Marxisten Josef Winternitz, der gerade zum Dekan der Fakultät gewählt worden war. Er leitete mit der Durchsetzung einer Studienreform im Wintersemester 1949/50 auch den vollständigen Umbau der Fakultät ein, der unter dem Dekanat Jürgen Kuczynskis konsequent fortgesetzt wurde.[4] Falk schloss 1952 das Studium als Diplomwirtschaftlerin ab.

Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der HU Berlin in der Spandauer Straße

1952 bis 1953 war Falk Mitarbeiterin der Abteilung Propaganda beim ZK der SED. 1953 erhielt sie eine Aspirantur am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Humboldt-Universität und promovierte dort 1956 bei Jürgen Kuczynski. Seit 1956 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und nahm bereits die Aufgaben der Institutsdirektorin wahr.[2] 1957 wurde sie mit der Wahrnehmung einer Dozentur beauftragt. Im selben Jahr begründete sie die Wirtschaftsgeschichte der DDR als selbständiges Teilgebiet der Wirtschaftsgeschichte.[2] 1960 wurde sie zur Dozentin berufen und gleichzeitig zur Direktorin des Instituts für Wirtschaftsgeschichte ernannt, aus dem 1968 der ebenso von ihr geleitete Bereich Wirtschaftsgeschichte hervorging. 1962 wurde sie habilitiert und zur Professorin mit Lehrauftrag, 1965 zur Professorin mit vollem Lehrauftrag berufen. Zugleich war sie von 1962 bis 1965 Prorektorin für Studienangelegenheiten an der Humboldt-Universität. 1968 wurde sie zur ordentlichen Professorin berufen und übernahm den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte ihres Lehrers Kuczynski. In den Jahren 1979 bis zur Emeritierung 1990 war sie gewählte Dekanin der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät.[5]

Falk war Mitglied des Präsidiums der Historiker-Gesellschaft der DDR und dort Vorsitzende der Fachkommission Betriebsgeschichte. Sie war Redaktionsmitglied der Zeitschrift Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung.[5] Im Übrigen war sie von Juni 1976 (VI. Kongress)[6] bis zum Jahr 1990 Vizepräsidentin der URANIA – Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse. Zudem wirkte sie als Herausgeberin bei der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) mit. Unter ihrer Leitung wurde dort die englische Erstausgabe des ersten Bandes des „Kapitals“ ediert.[7] Im Juni 1989 war sie Gründungsmitglied des Verbandes der Freidenker der DDR (VdF), der bis Juni 1990 bestanden hat.[8]

Ihre Forschungsergebnisse zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR, zur Investitionsstrategie und zur Veränderung der materiell-technischen Basis, zur Innovationsgeschichte, zur Genese der sozialistischen Intensivierung und andere wurden hauptsächlich im Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte und in den Beiträgen zur Geschichte der Arbeiterbewegung publiziert.[2] Sie schrieb Beiträge über betriebshistorische Probleme und widmete sich der Qualifizierung der betriebsgeschichtlichen Arbeit.[2] Sie nahm aktiv an mehreren Internationalen Historikerkongressen (u. a. Moskau, Bukarest, Stuttgart) sowie an nahezu allen internationalen Kongressen für Wirtschaftsgeschichte (Leningrad, Kopenhagen, Edinburgh, Budapest, Bern) teil.[2]

Waltraud Falk war Mutter von drei Kindern. Sie starb im Alter von 85 Jahren.[9][10]

Familie

Waltraud Falk war verheiratet, zuerst mit dem Historiker Martin Robbe, und dann mit Gerhard Falk, dem 1928 in Berlin geborenen Sohn eines US-Amerikaners, der als promovierter Historiker in leitenden Funktionen der SED-Parteiorganisationen der Humboldt-Universität Berlin und der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig war.[11] Michail Gorbatschow, ehemaliger Staatschef der Sowjetunion, erzählte in einem Interview von seiner Freundschaft mit Gerhard Falk während des Studiums in Moskau in den 1950er Jahren.[12]

Auszeichnungen

Veröffentlichungen

Beiträge in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) (Auswahl)

Literatur

Einzelnachweise

  1. Rudo Liermann: Berliner Portraits: Waltraud Falk. Berliner Zeitung, 17. Mai 1980.
  2. a b c d e f Waltraud Falk 60 Jahre. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 38. Jg. (1990) H. 2, S. 159.
  3. Hrsg. Hans-Jürgen Gerhard: Struktur und Dimension. Festschrift für Karl Heinrich Kaufhold. Band 2: Neunzehntes und Zwanzigstes Jahrhundert. Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 1997.
  4. (Hrsg. Heinz-Elmar Tenorth) Geschichte der Universität Unter den Linden 1810–2010. Band 6: Selbstbehauptung einer Vision. Akademie Verlag, Berlin 2010, S. 258–262.
  5. a b Lothar Mertens: Lexikon der DDR-Historiker. K.G. Saur, 2006, S. 206–207.
  6. Neues Deutschland, 26. Juni 1976, S. 3.
  7. Waltraud Falk & Frank Zschaler: Zur ersten englischen Auflage des ersten Bandes des „Kapitals“ von Karl Marx. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 23, Berlin 1987, S. 78–81. Digitalisat
  8. Bildung eines Verbandes der Freidenker der DDR vorbereitet. In: Neues Deutschland, 14./15. Januar 1989, S. 1.
  9. Traueranzeige in: Berliner Zeitung, 9. Mai 2015, S. 11.
  10. Ralph Hübner: Who is Who in der Bundesrepublik Deutschland. 5. Ausgabe 1998. Zug, Schweiz 1998, Seite 634.
  11. Das Bundesarchiv. Dokumente, Februar 1964. Einzelinformation Nr. 124/64 über das Auftreten von Prof. Havemann und über einige damit zusammenhängende Vorgänge an der Humboldt-Universität. Digitalisat
  12. Gorbi ganz privat: “Ich hieß gar nicht Michail”. BILD-Regional Frankfurt/Main, 4. Oktober 2010. Digitalisat
  13. Bearbeitung des Bandes: Waltraud Falk (Leiter)