Karl Dedecius (2006)
Richard von Weizsäcker gratuliert Karl Dedecius zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1990
Das Grab von Karl Dedecius und seiner Ehefrau Elvira Tabea geborene Roth auf dem Südfriedhof (Frankfurt am Main)

Karl Dedecius (* 20. Mai 1921 in Łódź; † 26. Februar 2016 in Frankfurt am Main[1]) war ein deutscher Schriftsteller und Übersetzer polnischer, russischer und serbischer Literatur.

Leben

Karl Dedecius wurde als Sohn deutscher Eltern in der damaligen Vielvölkerstadt Łódź geboren, die zu jenem Zeitpunkt seit kurzem wieder Teil eines polnischen Staates war. Er besuchte das polnische Humanistische Stefan-Żeromski-Gymnasium und absolvierte dort am 18. Mai 1939 das Abitur. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen im Zweiten Weltkrieg wurde er zunächst in den Reichsarbeitsdienst und dann in die Wehrmacht eingezogen. In der Schlacht von Stalingrad wurde er schwer verwundet und geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Während dieser brachte er sich selbst Russisch bei:

„Ich lag im Krankenzimmer, und die Schwestern brachten mir Bücher, von Lermontow zum Beispiel. Ein Jahr lang lernte ich an Lermontow und Puschkin die kyrillische Schrift und die russische Sprache. Die Wachmänner baten mich anschließend, für sie Liebesbriefe zu verfassen, weil ich wie Puschkin schrieb.“[2]

Dedecius ging nach seiner Entlassung 1950 zu seiner Verlobten nach Weimar in die DDR.[3] Im Jahr 1952 flüchtete er aus politischen Gründen in die Bundesrepublik.[4] Dedecius wurde Angestellter bei der Versicherung Allianz AG. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit polnischer Kultur und Literaturübersetzungen, pflegte auch private Kontakte zu polnischen Schriftstellern. Dedecius hierzu:

„Erst als ich mich so eingerichtet hatte, und eine gewisse Stabilität im Leben erreichte, konnte ich anfangen, mich endlich auch mit Literatur zu beschäftigen, ausdauernd und systematisch, obwohl mein Beruf nebenbei gesagt gar nichts mit Schriftstellerei zu tun hatte.“[2]

In der Einleitung zur polnischen Ausgabe von Vom Übersetzen schrieb Jerzy Kwiatkowski: „Formal betrachtet könnte man sagen, dass dieses große Übersetzerwerk nach Feierabend entstanden ist, als Folge eines Hobbys“.[2]

Im Jahr 1959 erschien die erste von ihm herausgegebene Anthologie Lektion der Stille. In den folgenden Jahren übersetzte er „nach Feierabend“ so bekannte polnische Schriftsteller wie Zbigniew Herbert, Stanisław Jerzy Lec, Czesław Miłosz, Tadeusz Różewicz und Wisława Szymborska. Außerdem veröffentlichte er eigene Essays zu Literatur und Übersetzungstechnik. Seit 1967 war er Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.

Dedecius war 1979/1980 Initiator des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, dessen Direktor er bis Ende 1997 blieb, wobei er seine literarische Tätigkeit fortsetzte. Als Dedecius’ Hauptwerk gilt neben der 50-bändigen Polnischen Bibliothek, einem Kanon, der 1982 bis 2000 im Suhrkamp Verlag erschien, das siebenbändige Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts (1996–2000), dessen abschließender Band zugleich eine Art Autobiographie darstellt.

Sein persönliches Archiv, darunter Korrespondenzen mit polnischen Schriftstellern wie Zbigniew Herbert, Czesław Miłosz, Wisława Szymborska oder Tadeusz Różewicz, übergab er im Jahre 2001 dem Karl Dedecius Archiv der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Ehrungen

Dedecius war der Inhaber mehrerer Ehrendoktorwürden sowie Träger zahlreicher Preise und Auszeichnungen:

Richard von Weizsäcker würdigte Karl Dedecius in seinen Erinnerungen: „Er, der in seinem Rang als Nachdichter und Übersetzer seinesgleichen sucht, hat uns eine fast vollständige Bibliothek der reichen polnischen Literatur in deutscher Sprache geschaffen.“[10]

Werke

Literatur

in der Reihenfolge des Erscheinens

Einzelnachweise

  1. Traueranzeige Karl Dedecius, FAZ, 2. März 2016.
  2. a b c Karl Dedecius (Memento vom 23. Mai 2006 im Internet Archive)
  3. Sag mir, wo die Deutschen sind - Erinnerungen der lodzer Deutschen. Gdzie są Niemcy z tamtych lat - wspomnienia łódzkich Niemców. Gemeinschaftswerk unter der Leitung Krystyna Radziszewska. Herausgeber - Wydawnictwo Literatura, Łódź 1999, S - 132, ISBN 83-87080-91-8.
  4. Zu den Motiven der Flucht siehe Przemysław Chojnowski: Zur Strategie und Poetik des Übersetzens: eine Untersuchung der Anthologien zur polnischen Lyrik von Karl Dedecius (Lit.), S. 48.
  5. a b Sabrina Hennig: Autorinnen & Autoren. Karl Dedecius. In: literaturportal-bayern.de, Bayerische Staatsbibliothek
  6. Friedenspreis 1990. Karl Dedecius. In: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Börsenverein des Deutschen Buchhandels, 1990, abgerufen am 1. März 2023.
  7. Ewa Kowalczuk: Nadanie imienia szkole (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive), in: gim43.scholaris.pl, Gimnazjum 43, Łódź, 17. Januar 2007 (polnisch)
  8. M.P. z 2003 r. nr. 42 poz. 628. 3. Mai 2003; (polnisch).
  9. Geehrt werden deutsch-polnische „Brückenbauer“. (Memento vom 14. Oktober 2013 im Internet Archive) (PDF, 85 kB) Pressemitteilung der Deutschen Nationalstiftung.
  10. Richard von Weizsäcker: Vier Zeiten. Erinnerungen. Siedler, Berlin 1997, S. 372.