Doris Lessing, CH (* 22. Oktober 1919 in Kermānschāh, Persien; † 17. November 2013 in London;[1] gebürtig Doris May Taylor) war eine britische Schriftstellerin. Im Jahr 2007 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur.

Doris Lessing bei einer Lesung auf der Lit.Cologne in Köln, 2006

Leben

Doris May Taylor wurde als Tochter von Emily Maude Taylor, die als Krankenschwester in einem Lazarett arbeitete und vom Verlust ihrer an der Front gefallenen Liebe gezeichnet war, geboren. Ihr Vater war Alfred Taylor, ein Bankangestellter und Kriegsveteran. Körperlich und seelisch vom Krieg geschädigt, wollte er nicht länger in England leben.[2] Er fand eine Anstellung bei der Imperial Bank of Persia. Die Familie lebte zunächst in Kermānschāh, dann in Teheran. 1925 zog sie in die britische Kolonie Südrhodesien (heute Simbabwe), wo sie ein hartes Leben auf dem Land führte. Doris besuchte eine katholische Klosterschule und die Girls High School in der Hauptstadt Salisbury (dem heutigen Harare). Das riesige Stück Land im Besitz der Familie, eine Maisfarm, brachte keinen Reichtum, sodass ihre Mutter den Traum, ein großbürgerliches Dasein „unter den Wilden“ zu führen, aufgeben musste. Mit vierzehn Jahren brach sie die Schule ab und arbeitete erst als Kindermädchen und dann als Sekretärin. Die Autorin erlebte eine schwierige und unglückliche Kindheit, und ihre Texte über das Leben in den britischen Kolonien Afrikas sind voller Mitgefühl mit dem inhaltsleeren Dasein der britischen Siedler wie auch mit der trostlosen Lage der einheimischen Bevölkerung.

Im Jahr 1939 heiratete Doris Taylor Frank Charles Wisdom; das Paar bekam zwei Kinder (einen Sohn, geb. 1939, und eine Tochter, geb. 1943). 1943 wurde die Ehe geschieden, die Kinder blieben beim Vater. Später begründete sie ihre Entscheidung mit fehlenden Alternativen: „Lange habe ich das für eine gute Sache gehalten. Nichts ist langweiliger für eine intelligente Frau als endlose Zeit mit kleinen Kindern zu verbringen. Ich merkte, dass ich nicht die erste Wahl für Kindererziehung war. Ich hätte als Alkoholikerin oder als frustrierte Intellektuelle wie meine Mutter enden können.“[3] In zweiter Ehe heiratete sie 1945 den deutschen Emigranten Gottfried Lessing, mit dem sie 1947 einen weiteren Sohn namens Peter bekam, den sie nach der Scheidung 1949 mit nach England nahm und der sein ganzes Leben lang bei ihr blieb. In ihren letzten Jahren sorgte sie während seiner schweren Krankheit (Diabetes) für ihn; er starb drei Wochen vor ihr. Gottfried Lessings Schwester Irene war die Frau von Klaus Gysi und Mutter von Gabriele und Gregor Gysi. Nach ihrer zweiten Scheidung heiratete Doris Lessing nicht mehr; sie behielt den deutschen Nachnamen bei.

Der erste Roman von Doris Lessing wurde mit dem Titel The Grass Is Singing (Afrikanische Tragödie) gedruckt und erschien im Jahr 1950 in London nach ihrer Übersiedlung aus Rhodesien. Mit diesem schwarz-weißen Schicksalsdrama schaffte sie den literarischen Durchbruch. Im August 2015 wurde bekannt, dass Lessing zwischen 1943 und 1964 vom britischen Security Service umfassend überwacht worden war.[4] 1982 wurde das mehr als zwei Jahrzehnte lang gegen sie verhängte Einreiseverbot für Südafrika und Südrhodesien aufgehoben. Danach besuchte sie ihre alte Heimat mehrfach wieder. Aus dieser Erfahrung entstand der Bericht «African Laughter: Four Visits to Zimbabwe» (1992, deutsch: Rückkehr nach Afrika).[2]

Doris Lessing verstarb am 17. November 2013 in London. Sie wurde im Golders Green Crematorium in London eingeäschert, wo sich auch ihre Asche befindet.

Literarisches Schaffen

Ihre „Afrikanische Tragödie“ The Grass Is Singing von 1950 gab anhand einer bewegenden und auch die Rassenfrage einbeziehenden Handlung erstmals einem Frauentypus der in Zentral- und Südafrika herrschenden weißen Minderheiten Gesicht und Stimme und fundierte Doris Lessings literarische Reputation. Während dieser Wegbereiter-Roman des Postkolonialismus in Großbritannien große Beachtung fand, kam er in Deutschland erst dreißig Jahre später heraus.[5] Ihr bekanntester Roman „Das goldene Notizbuch“ erschien 1962 in englischer Sprache und 1978 in Deutschland.

Lessings literarisches Schaffen wird derzeit in drei Perioden eingeteilt:

Nach dem Sufi-Thema beschäftigte sich Doris Lessing mit allen drei Themengebieten.

Auf die Frage, welches ihrer Werke sie selbst als das wichtigste ansehe, nannte Lessing die Romane des Zyklus Canopus in Argos. Diese Bücher gründen sich zum Teil auf die Weltsicht der Sufis bzw. des Sufismus, zu der Lessing auf Vermittlung von Idries Shah gelangte. Auch schon frühere Werke zeigen einen Anklang an dieses Thema, beispielsweise Briefing for a Descent into Hell und Memoirs of a Survivor. Zwei Bücher des Zyklus wurden von Philip Glass als Oper adaptiert: 1988 The Making Of The Representative of Planet 8 und The Marriages between Zone Three, Four and Five 1997, wobei Lessing selbst die Bühnenfassungen schrieb.

Das goldene Notizbuch (1962)

Ihr Roman The Golden Notebook (deutsche Fassung: „Das goldene Notizbuch“) wurde 1962 veröffentlicht. Im Mittelpunkt des Werks steht Anna Wulf, eine politisch engagierte, intellektuelle und emanzipierte Frau, ihre Freundin Molly Jacobs, und deren Liebhaber und Kinder. Die Handlung spielt in Rhodesien bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, im Milieu der Kommunistischen Partei im England der 1950er Jahre sowie unter Intellektuellen in London. Das Buch hat sowohl fiktionale als auch autobiografische Elemente, die in einer experimentellen Form subjektiv und nicht-linear erzählt werden. In der Literaturwissenschaft gilt das Goldene Notizbuch als Lessings Hauptwerk, bei der Verleihung des Literaturnobelpreises von 2007 an Lessing wurde das Werk entsprechend gewürdigt.

Alfred und Emily (2008)

Alfred und Emily basiert auf dem Leben von Lessings Eltern. Die Würfel werden zweimal geworfen: Beim ersten Wurf hat der Erste Weltkrieg mit England nicht viel zu tun; Alfred und Emily führen ein Leben, das viele ihrer Träume erfüllt und sie heiraten einander nicht (Teil 1). Infolge des zweiten Wurfs finden sich die beiden als Eheleute auf einer mageren Farm in Südrhodesien wieder und nicht nur der Erste, sondern auch der Zweite Weltkrieg hat Auswirkungen auf beide Generationen der Familie (Teil 2). Das Werk weist eine neue hybride Form auf und besteht aus Erzählung („Novella“), Notizbuch, Memoiren, einem enzyklopädischen Eintrag, zwei Epitaphen und einem Epigraph aus Lady Chatterly’s Lover von D. H. Lawrence. Die letzten beiden Kapitel im zweiten Teil sind als Anhänge[6] angesehen worden, weil sie auf den Versöhnungsprozess der Tochter Doris Lessing mit ihrer Mutter, Emily McVeagh Tayler, folgen.

Rezeption

Das goldene Notizbuch gilt unter Literaturwissenschaftlern als ihr Hauptwerk. Es handelt sich hierbei um einen Klassiker der Moderne. Verschiedene Kritiker vergleichen Doris Lessing mit Virginia Woolf und nennen sie die beiden großen Frauen der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Andere, wie der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, zeigten sich enttäuscht über die Vergabe des Literaturnobelpreises an Doris Lessing.[7]

Lessing wurde 1972 erstmals für den Literaturnobelpreis nominiert.[8] Spätere Nominierungen sind wegen der 50-jährigen Geheimhaltungsfrist bislang (Stand: Dezember 2022) nicht bekannt. Am 11. Oktober 2007 gab die Schwedische Akademie ihren Beschluss bekannt, „der Epikerin weiblicher Erfahrung, die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen“ habe, den Nobelpreis für Literatur des Jahres 2007 zuzuerkennen.[9] Da Doris Lessing zum Zeitpunkt der Preisübergabe krankheitsbedingt nicht nach Schweden reisen konnte, nahm ihr britischer Verleger Nicholas Pearson für sie den Preis entgegen und las auch die traditionelle Nobelvorlesung aus der Feder von Doris Lessing vor.

Auszeichnungen

Bibliografie

New English Dramatists 1 (1959)
Romanzyklus Children of Violence / Kinder der Gewalt
Romanzyklus Canopus in Argos: Archives / Canopus im Argos: Archive.
Einzelromane
Sammlungen

Deutsche Einzelveröffentlichungen:

Stücke
Katzengeschichten und -bücher
Gedichte
Autobiografisches
Essayistisches

Literatur

Monographien
Bibliographien
Artikel und Interviews
Lexika

Einzelnachweise

  1. „Doris Lessing dies aged 94“ theguardian.com vom 17. November 2013.
  2. a b Bernadette Conrad: Von einer Welt zur nächsten – Zum Tod der Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing. In: Neue Zürcher Zeitung. Nr. 268. Zürich 18. November 2013, S. 33.
  3. Julia Baird: Baird: Why Mothers Should Lower the Bar. In: Newsweek. 5. Mai 2010, abgerufen am 22. Oktober 2019 (englisch).
  4. Literaturnobelpreisträgerin: Britischer Geheimdienst spionierte Doris Lessing aus, Spiegel Online, 21. August 2015.
  5. Zum Tod von Doris Lessing Wozu wir fähig sind, Nachruf von Andreas Platthaus in der FAZ vom 17. November 2013, abgerufen 2. Dezember 2013.
  6. Roberta Rubenstein: Literary Half-Lives. Doris Lessing, Clancy Sigal and 'Roman à Clef' , Palgrave Macmillan, New York 2014, S. 193.
  7. Reich-Ranicki nörgelt über Nobelpreis für Doris Lessing
  8. Nominierungsliste der Schwedischen Akademie. In: svenskaakademien.se. Abgerufen am 3. März 2023.
  9. Deutschsprachige Pressemitteilung vom 11. Oktober 2007 der Schwedischen Akademie
  10. Honorary Members: Doris Lessing. American Academy of Arts and Letters, abgerufen am 14. März 2019.
  11. Awards. Archiviert vom Original am 10. Mai 2013; abgerufen am 4. Dezember 2015 (englisch).